Mein erhabener Herr und grossmüthigster Freund!

Richard Wagner, Bayreuth an Ludwig II., München – 6. April 1875

Noch ist in meinem jetzt so geplagten Leben die Stunde nicht gekommen, die ich mir zu einer Antwort auf den unsäglich beglückenden Brief ersehnte, welchen ich von meinem hochgeliebten Freunde noch in Wien[1] erhielt. Doch gemahnt es mich zu dringend, Ihnen endlich wenigstens die schuldige Beantwortung der Fragen und Wünsche zu erstatten, deren Gegenstand und Inhalt mich mit so warmem Stolz erfüllen mussten. Möge mir der Huldreichste dieser Erde gnädigst verzeihen, dass ich hiermit so lange zögern konnte! Hatte ich doch eine kurze Zeit lang mit der herrlichen Hoffnung mir geschmeichelt, ich würde zu dem erhabenen Glücke begünstigt sein, Ihnen Alles diess persönlich und mündlich zum Bericht bringen zu können[2]! Dass gerade meines Allergnädigsten Herren anhaltendes Unwohlsein der Hauptgrund der Zerstörung meiner Hoffnungen sein musste, wie tief hatte mich dieses Schicksal wiederum zu bekümmern! – Doch nun zu dem, was mein erhabener Herr wünschte und befahl! –

Die Skizzen des Malers Hoffmann in Wien sind, bis auf die wenigen, deren Ausführung gerade jetzt in Arbeit ist, an Hofrath Düfflipp zum Befehl Eurer Majestät abgesandt worden. Im Betreff dieser Skizzen habe ich zu erklären, dass sie zum Theil, im Interesse der scenischen Verwendbarkeit, bei der Ausführung verändert werden müssen; hierüber gerieth ich mit dem Künstler, der sie entworfen, in so grosse Schwierigkeiten, dass ich, bei seinem sonstigen unverträglichen Charakter, diese meinen scenischen Intentionen entsprechende Ausführung in die Hände der höchst talentvollen Maler Brückner in Coburg übergehen lassen musste, wodurch ich nun sicher geworden bin, dass Alles nach meiner letzten Anordnung hergestellt wird. Als, nach meiner Ansicht, vorzüglich entworfen, erlaube ich mir, meinem erhabenen Herren die erste Decoration des dritten Aktes des Siegfried (Scene des Wanderers und der Wala), dann die Wald- und Felsenhöhen, die Schmiedehöhle Mime’s, sowie auch die erste Scene des dritten Aktes der Götterdämmerung (Jagdwald und Rhein) zu bezeichnen. Sehr erfindungsvoll dünkt mich die Walhall, nur muss hier noch Vieles geändert werden, und schliesslich wird die »Brücke« uns noch viel zu schaffen machen, wogegen ich hierfür mit Brandt jetzt das Richtige getroffen zu haben glaube, indem ich festgestellt habe, dass ein natürlicher Regenbogen durch Froh’s Zauber in eine wirkliche Brücke für die Götter verwandelt wird. (Diess waren eben Dinge, die ohne meine thätigste Mitwirkung und Erfahrung nicht in das Reine zu bringen waren.) Mit mehreren, auf der Skizze noch nicht verzeichneten, Abänderungen glaube ich nun auch den Wohnraum Hundi[n]gs (1. Akt der Walküre) originell und zweckmässig hergestellt zu haben. Das Allerschwierigste, die Halle der Gibichungen in der Götterdämmerung, ist, nach vielen gänzlichen Umarbeitungen, jetzt wohl auch so weit gediehen, dass sie als phantastisches Muster der Hofhalle eine[s] alt-germanischen Geschlechts-Königs gelten dürfte. Schliesslich muss ich im Betreff dieser Skizzen jedoch wiederum darauf hinweisen, dass jede derselben in der Ausführung noch Modifikationen erleidet, durch welche ich hoffen darf, auch die Zufriedenheit meines erhabenen Herren damit vollständiger zu gewinnen. –

In Bezug auf die dreimalige Vorführung meines vollständigen Werkes vor meinem erhabenen Beschützer und Wohlthäter allein war gewiss nur dieser hochbeglückende Wunsch auszusprechen, um als heiliger Befehl ausgeführt zu werden. Die Strophe Brünnhilde’s soll von mir in Musik gesetzt, und von der Sängerin in diesen Vorstellungen eingefügt werden: mein huldreichster Freund wird hier zu entscheiden haben! – Die Zeit dieser drei Vorführungen für [3] Eure Majestät allein erlaube ich mir so festzustellen, dass ich sie von Mitte Juli bis erste Woche August 1876 ansetze. Diess wird nämlich die Periode der Gesammtproben für sämmtliche vier Hauptwerke sein, welche dann nicht mehr einzeln, sondern regelmässig auf einander folgend zur Uebung gebracht werden sollen.

Ich gedenke nämlich – sobald mir Gott das Leben lässt und unter den fortgesetzten Aergernissen, denen ich hierum ausgesetzt bin, mich bei rüstigem Muthe erhält – meinen, Ihnen bereits mitgetheilten Ausführungsplan auch der Zeit nach unverrückt festzuhalten und durchzuführen. Stünden mir hierfür stets die nöthigen Geldmittel zu Gebote, so würde ich jeder Mühe lachen; aber, dass ich immer noch mich angespannt sehe, erst diese stets wieder herbeizuschaffen, und zwar durch Bemühungen, wie ich ihnen nicht mehr ausgesetzt zu sein glaubte, diess macht mich wohl oft tief mismuthig. Doch, Geduld! Auch diess will ich überwinden; nur einiges Verständniss meiner Lage wünschte ich hierfür bei solchen, die andererseits mir günstig gesinnt sind. So habe ich jetzt, nachdem ich das Geld für die nöthigen Terrainarbeiten mir in Wien und Pest gewonnen, wiederum nur für die Extra-Proben zu sorgen, ohne welche ich, wenn ich diesen Sommer sie nicht ermögliche, für die Ausführung im nächsten Jahre nicht stehen kann. So muss ich denn nun wieder nach Berlin, um durch Aufführung meiner drei Bruchstücke (!) wenigstens einen Theil der Entschädigungsgelder zu erwerben, welche ich diesen Sommer an Sänger und Musiker bezahlen soll, wobei ich leider die Erfahrung mache, dass die Herren Musiker sich bei weitem weniger aufopferungsvoll benehmen, als meine Sänger, was mir viel [4] Sorge macht. – Zudem habe ich in der letzten Zeit nun auch die Ueberzeugung gewinnen müssen, dass der junge Mann5, welcher sich mir für die Rolle des Siegfried erboten hatte, zur Durchführung dieser Aufgabe [als] durchaus unfähig sich bewährt. Um einen Ersatz hierfür aufzusuchen, will ich nun junge Künstler, die man mir als geeignet empfohlen hat, in Prüfung nehmen, und werde jetzt zu diesem Zweck wieder eine Reise antreten, die mich zunächst nach Hannover und Braunschweig führt. – Im Betreff der Nielson habe ich leider zu berichten, dass die auf sie gesetzte Hoffnung zunächst hierdurch erlosch, dass ihr Mann Franzose ist und erklärt hat, seine Frau würde nie wieder in Paris auftreten können, wenn sie in Bayreuth gesungen hätte. Dazu erfuhr ich nun allerdings auch, dass sie, ihrem ganzen Genre nach, weniger für mich, als für Gounod (etwa zu dessen Margarethe) geeignet sei, höchstens [die] E[l]sa, gewiss nie aber die Sieglinde sich angeeignet haben würde. Um nun endlich für die Besetzung auch dieser Rolle Alles gethan zu haben, beschloss ich daher auch Frau Vogl, welche man mir von vielen Seiten doch als sehr beachtungswerth bezeichnet hat, in einer ihrer guten Rollen kennen zu lernen. Ich hatte – rein zu diesem Zwecke – um eine Aufführung des Tristan in München gebeten; [ich] konnte hierzu aber noch nicht gelangen, nehme mir aber vor, bei einer günstigen Gelegenheit, welche mir das Repertoir bieten könnte, meinen Zweck zu erreichen.

Somit sehen Sie, theuerster Erhabener, mich immer wieder in all den Wirren und Nöthen begriffen, welche so viele Ruhe der mir vergönnten Lebensjahre bereits aufgezehrt haben! Wie sehne ich mich dagegen nach einer Wiederaufnahme rein künstlerischer Produktion! Diese ist mir wohl noch lange nicht gegönnt: denn was jeder Künstler jeder Nation vorfand, das Material für die Bildungen seines Genie’s, das habe ich in Mitten dieser tief verwahrlosten deutschen Nation erst aus dem Gröbsten herauszuarbeiten: wo wäre ich, hätte es nicht zwei – drei Menschenseelen gegeben, die meine Noth begriffen und thätig sich für mich bemühten! Denn nicht nur für die Beschaffung meines Kunstmateriales habe ich zu kämpfen; ich habe auch den Stumpfsinn meiner neuen Mitbürger aufzurütteln, ja – vielleicht selbst dafür Hand anzulegen, den Besuchern meiner Festspiele nur ein erträgliches Unterkommen in Bayreuth zu sichern. An mich wendet man sich ja selbst, um bei Eurer Majestät für Ertheilung eines Befehles im Betreff der Eisenbahnverbindung von Nürnberg mit Bayreuth Fürbitte zu thun; allerdings beklagen sich alle Besucher des Ortes über die schlechte Verbindung desselben; die neue Bahn sei längst decretirt, nur fange man den Bau nicht rechtzeitig da an, wo dessen Vollendung im Sommer nächsten Jahres uns von unermesslichem Vortheil sein könne: man meint, ein Wink von Eurer Majestät werde diess erwirken; diesen zu erbitten sei meine Sache! Ich glaube, ich werde auch hierfür noch Konzerte geben müssen! –

Dass ich Ihnen, grossmüthigster Freund, diess Alles klage, hat, nach allen Beweisen Ihrer grenzenlosen Güte für mich, doch wohl nur den Grund, dass ich gerade gegen Sie ganz offen sein kann, während ich meine Sorgen und Nöthe [6] der Welt, und dem, was sie enthält, gegenüber aus Stolz so gern zurückhalte. Dann aber -, ich habe Sie, wie immer so auch jetzt, um Geduld mit Ihrem Schützlinge zu bitten, ja, – in dieser stets mir erwiesenen Geduld Sie mir von Neuem zu bestärken. Diess meine demüthige Bitte! Das Werk – soll dann nicht fehlen, und Alles sei erfüllt!

    In stets neu anbetender Demuth begrüsst das erhabenste Wunder seines Lebens

Ihr
für ewig zugewiesenes Eigen 
Richard Wagner


Bayreuth
6 April 1875


[1] Hier weilte Wagner vom 21. Februar bis 6. März und vom 12. bis 15. März 1875, um in zwei großen Konzerten (1. und 14. März) Bruchstücke aus seinen neueren Werken aufzuführen. Die Reineinnahmen aus beiden Konzerten waren dazu bestimmt, die Kosten der Bayreuther Vorproben des Sommers 1875 zu decken. (Vom 6. bis 12. März hatte Wagner sich in Pest aufgehalten und daselbst – unter Mitwirkung Liszts – am 10. März gleichfalls ein großes Orchesterkonzert geleitet).

[2] Wagner hatte am 5. März von Wien aus Düfflipp mitgeteilt, daß er die gleichen Bruchstücke aus der »Götterdämmerung«, die er soeben dort aufgeführt hatte, im Anschlusse an seine Wiener Konzertreise gerne auch seinem königlichen Wohltäter in München zu Gehör brächte. Er hatte gehofft, bei dieser Gelegenheit den König endlich wieder persönlich begrüßen zu dürfen, was dann aber schließlich abermals unmöglich ward, da die geplante Privataudition nicht zustande kam.

[3] Wagner schrieb »an«.

[4] Im Original steht »viele«.

[5] Dr. Glatz! Vgl. vorne S. 42 unten / S. 43 oben.

[6] Wagner schrieb »Nöthen«.


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