Mein gottgesandter,
hochgeliebter,
angebeteter Freund!
Mein Herr und huldreichster König!
Der Strahl drang wieder zu mir; die Taube kam herab, um neu zu stärken meines Geistes Kraft! Ja, es gedeihet, was Ihre heilige Liebesmacht beschützt: diess der Dank, der Ihnen gezollt sei! Es gedeihet mein Leben, – es gedeihet mein Werk, denn alle Nöthe, unter denen sie gedeihen sollen, lösen sich vor der Macht Ihrer Liebe in ein leicht sich zerstreuendes Trug-Gewebe auf. –
Dank der holden Antwort auf die schüchterne Frage, ob es Ihnen berichtenswerth erscheinen dürfte, wie es um die Ausführung der grossen Unternehmung steht, welche Ihrer Huld den Ausgang wie ihre Neubelebung verdankt! Hochbeglückt durch Ihren liebevollen Befehl, theile ich mit dem Folgenden zunächst meinen Bericht mit.
Mein König! Erst durch Ihre unendliche Güte ward es mir möglich, mit dem Eintritt des zweiten Viertels dieses Jahres die nöthigen Bestellungen für die Bühneneinrichtung und die Dekorationen vorzunehmen. Da ich nur mit auswärts beschäftigten Künstlern hierfür zu thun haben konnte, musste ich ein Zusammentreffen derselben mit mir und meinen Verwaltungsräthen einleiten, und es konnte dieses erst am letzten April d.J. stattfinden. Mit dieser Zusammenkunft, und den damit verbundenen Berathungen weihte ich mein neues Haus, das Geschenk Ihrer Grossmuth, ein; ich bezog es mit meiner Familie an diesem Tage und schlief die erste Nacht in ihm nach vollbrachtem Abschlusse der Kontrakte.
Es hatte sich bei diesen Unterredungen nun das Ergebniss herausgestellt, dass es von jetzt an unmöglich sei, die nöthigen Arbeiten schon für das nächste Jahr zu liefern, und mit Sicherheit erst das Jahr 1876 für die Aufführungen festgestellt werden könne. Im betreff der Arbeiten selbst fand nun folgende Vertheilung statt:
Mein hauptsächlichster Helfer und Berather für den ganzen praktischen Ausführungstheil der Unternehmung war von Anfang herein der geniale Maschinist Carl Brandt in Darmstadt; er hat mir zu dem Architekten für die Ausführung des ausserordentlich schwierigen Baues verholfen, war aber von Anfang an in Verlegenheit, für die Herstellung der Decorationen mir den rechten Mann vorzuschlagen, da es sich hier um wahrhaft künstlerische Erfindungen in einem neuen Style, nicht aber um eine bloss geschickte Bewährung in der gewöhnlichen Theater-Malerei handeln sollte. Eine zufällige Begegnung liess mich den rechten Mann antreffen.
Der Maler J. Hoffmann in Wien hatte, trotzdem er sich zuvor nie mit Bühnen-Malerei beschäftigt hatte, für die Eröffnung des neuen Opernhauses in Wien zwei Decorationen entworfen und gemalt, nämlich zu der »Zauberflöte« und zum »Freischütz« (welche von allen Seiten als die vorzüglichsten anerkannt wurden), seitdem aber vom Theater sich gänzlich wieder zurückgezogen. Dieser war nun bereits anfangs vorigen Jahres von mir aufgefordert worden, zu allen Theilen meines Werkes Skizzen zu entwerfen, welche er bereits im Herbst vollendet und mir vorgezeigt hatte. Nicht nur ich, sondern Alle, – darunter die ersten Kenner, denen er sie in Wien ausgestellt hatte – waren im höchsten Grade erfreut über seine Arbeiten: die allerschwierigste Aufgabe, die Erscheinung der Götterburg Walhall im »Rheingold«, mussten wir als eine wahrhaft geniale Erfindung bewundern.
Dieser Künstler besitzt nun aber kein Atelier, noch sonstige Hilfsarbeiter für Decorations-malerei; da er hier für sich Alles erst neu hätte schaffen müssen, kamen wir denn mit ihm dahin überein, die Ausführung der Decorationen unter seiner Anleitung den Brüdern Brückner, Hoftheatermalern in Coburg, denen Brandt das vorzüglichste Zeugniss geben konnte, zu übertragen. Diese besitzen die genügenden Ateliers, und erhalten ausserdem zur Ausführung der untrennbaren grossen Prospekte einen von uns, in der Nähe des Festtheaters erbauten provisorischen Malersaal zu ihrer Verfügung.
Auch diese stellten sich zu jener Conferenz ein, und es wurden nun mit ihnen und dem Maschinisten Brandt die Accorde abgeschlossen, welche Ihnen, durch die Vorlegung derselben an Ihr königliches Hofsecretariat, vielleicht nicht unbekannt geblieben sind. Diesen zu Folge sollen am 1 August nächsten Jahres (1875) die, wegen ihrer scenischen Complizirtheit schwierigsten Decorationen zur Benutzung geliefert werden, wogegen der andere Theil derselben am 1 Mai 1876 zur völligen Verfügung an Ort und Stelle gelangt sein muss.
Demgemäss entwarf ich nun für den dramatischen und musikalischen Theil der Aufführung folgenden unweigerlich festzuhaltenden Plan: Die von mir im Laufe dieses Jahres 1874 auszuwählenden Sänger sollen bereits für nächstes Jahr für die zwei Monate Juli und August zusammenkommen, um in dem ersten Monate am Klavier, im zweiten Monate jedoch bereits auf der, mit den wichtigsten Decorationen ausgestatteten Bühne ihre Partien durchzustudiren, um ihre Aufgaben hiermit so genau kennen zu lernen, dass sie im darauf folgenden Jahre sogleich zu den sogenannten Generalproben übergehen können.
Keinen Sänger kann ich einreihen, der nicht für die beiden genannten Monate des Jahres 1875, sowie endlich für die drei Monate des Juni, Juli und August 1876 sich mir unbedingt zur Verfügung stellen kann. Denn in diesem Jahre 1876 soll nun unmittelbar mit den vollständigen Hauptproben aller vier Abende begonnen werden; in den zwei ersten Monaten gedenke ich, Tag für Tag mein Personal mit Orchester, Maschinerie und Beleuchtung einübend, so weit zu gelangen, dass ich im Monat August nun die drei verheissenen Gesammtaufführungen vor sich gehen lassen kann.
Diese sollen nun in der zweiten, dritten und vierten Woche des Monates aufeinander folgen, indem mit jedem Sonnabend das Vorspiel: »Das Rheingold«, und dann mit jedem folgenden Tage die drei Hauptwerke vorgeführt werden. Jede Aufführung soll Nachmittags um 4 Uhr beginnen: der zweite Akt folgt um 6 Uhr, der dritte um 8 Uhr, so dass zwischen jedem der Akte eine bedeutende Erholungspause eintritt, welche die Zuhörerschaft zur Ergehung in den das Theater umgebenden Parkanlagen, zur Einnahme von Erfrischungen in freier Luft und reizender Gegend benutzen soll, um, vollkommen erfrischt, sich im Zuschauerraum, auf das Zeichen der Posaunen von der Höhe des Theaters, mit derselben Empfänglichkeit, wie zum ersten Akte, wieder zu versammeln. Ich denke, dass dann der Sonnenuntergang vor dem letzten Akte eine besonders weihevolle Stimmung geben wird.
Diess die allgemeinen Züge des Aufführungsplanes. Was ich zur Verwirklichung desselben bereits in diesem verflossenen Sommer thun konnte, bestand darin, dass ich die Sänger und Sängerinnen, deren nähere Bekanntschaft ich zu machen hatte, einlud, je nachdem es ihre Beschäftigung für die Zeit ihnen gestattete, mich in Bayreuth zu besuchen. Hier fand ich nun das Erfreuliche, dass Jeder gern kam; die bedeutenderen Künstler machten mich wieder auf andere, mir noch unbekannte, aufmerksam, welche sie wiederum veranlassten, mich ebenfalls zu besuchen. Auf diese Weise haben sich mir wohl die besten dramatischen Sänger Deutschland’s vorgeführt; unbeachtet lassen musste ich nur diejenigen, welche nicht über den genügenden Urlaub für die nächsten Jahre verfügen konnten: Alle aber erklärten, dass sie ihre Mitwirkung einzig als eine Ehrensache ansehen und von jedem Gewinn oder Entschädigung für Gastspiele u. dgl. absehen würden. Auf diese Weise gelangte ich dazu, fast alle Rollen meines Werkes bereits vortrefflich zu besetzen, wobei ich nicht nur auf gute Stimm- und dramatische Begabung, sondern namentlich auch auf die Gestalt sehen durfte. Meine Götter, Riesen und Helden sind alle von ausgezeichneter Statur, so dass auf dem hiesigen Bahnhofe, wann ein solcher Riese ankam, es immer gleich hiess: »da kommt wieder ein Nibelunge!«.
Dagegen war ich glücklich, für die ungemein schwierige Rolle des leidenschaftlich wilden Alberich in dem Sänger Hill aus Schwerin einen nicht nur im dramatischen Sinne Alles überragend bedeutenden, sondern auch durch seine gedrängtere Gestalt für den Bruder Mime’s besonders geeigneten Darsteller zu gewinnen. Für Mime habe ich mich dagegen an ein Mitglied der Münchener Oper, meinen altbewährten »David« aus den »Meistersingern«, Schlosser, gewendet.
Die ganze ungeheure Rolle des Wotan hat mir Betz bereits zu wahrhafter Befriedigung vorgetragen: Hagen wird unvergleichlich durch Scaria aus Wien gegeben werden. Niemann, der sich mir seit einigen Jahren in wirklich rührend reuiger Weise zur unbedingten Verfügung übergeben hat, übernimmt den ganz wie für ihn geschriebenen Siegmund. Ein Siegfried ist auf keinem unserer Theater vorhanden; ihn muss ich mir schaffen, und in höchster Noth hat mir ein guter Geist auch das rechte Material zu dieser Schöpfung zugewiesen. Ein junger Doctor juris in Pest, Herr Glatz, der soeben erst absolvirt hat, liess sich mir im vorigen Winter durch meinen getreuen Hans Richter vorstellen.
Dieser schöne jugendliche Mann, welchen man seiner Gestalt nach in Bayreuth fast für Seine Majestät von Bayern selbst gehalten hat, besitzt eine der kräftigsten und edelsten Tenorstimmen, die ich je gehört habe: er ist ein vollkommener Reiter, Fechter und Tänzer, dazu von einer vorzüglichen geistigen, sowie namentlich musikalischen Bildung, und ist so vermögend, dass er nie zum Theater zu gehen beabsichtigt, sondern sich einzig mir zu meinen Festaufführungen zur Verfügung stellen will. Von nächstem Monat an trifft er in Bayreuth ein, um bis zu den Aufführungen sich beständig meiner Belehrung und Einübung hinzugeben.
Auf grosse Schwierigkeiten stiess ich für die Frauenrollen, bis endlich die allergrösste Schwierigkeit durch den von Freunden mir gegebenen Hinweis überwunden wurde, indem ich Frau Materna in Wien für die Brünnhilde bestimmte. Sie ist die Einzige, welche die Stimme für diese ungeheure Gesangsparthie besitzt; dazu ist sie feurig, von heroischer Gestalt und ungemein sprechender Physiognomie, endlich aber von wahrhaft kindlicher Ergebenheit für mich und die Sache. –
Im betreff der Sieglinde habe ich mich noch nicht entschieden, obwohl mehrere tüchtige Sängerinnen sich bereits um diese Rolle beworben haben. Ich halte diese Frage für einige Zeit noch in der Schwebe, weil ich abwarten will, wie sich meine Beziehungen zu der berühmten Schwedin Nielson entscheiden; diese hat sich mir durch ihren Geschäftsführer, den famosen Entreprenneur Ullmann, völlig anbieten lassen, und zwar mit dem Bedeuten, dass sie von ihm für jede Aufführung 5000 francs bekäme, mir aber ohne jedes Honorar singen würde.
Sie soll eine Sängerin von allererster Qualität sein, die ehemalige berühmte Jenny Lind bedeutend übertreffen und für meine Musik schwärmen. Noch hat sie aber nicht deutsch gesungen, und müsste sich diess erst aneignen; dazu ist ihr Mann Franzose, und dieser befürchtet, seine Frau würde nie wieder in Paris auftreten können, wenn sie bei diesen deutschen Festaufführungen mitgewirkt habe. Somit lasse ich diese Besetzung zunächst noch unentschieden.
Vortrefflich ist aber bereits Fricka durch Frau Sadler-Grün in Coburg besetzt; eine Frl. Oppenheimer aus Frankfurt, stattlich und sehr bedeutend, übernimmt die, namentlich im dritten Akte des »Siegfried« äusserst wichtige »Erda«. Die schwierigen »Rheintöchter« sind zwei Schwestern Lehmann (erste Sängerinnen in Berlin und Cöln), sowie der Altistin Lammert in Berlin übergeben: auf den Muth und die Tüchtigkeit dieser drei, denen ich vermuthlich auch die »Nornen« zutheile, kann ich mich verlassen; sie werden sich schon nächstes Jahr in ihren Schwimm-Maschinen einüben.
Gutrune, Holda, sind durch ein Schwester[n]-Paar Pauli (in Dessau und Hannover) vortrefflich besetzt; sogar die Stimme des Waldvogels hat in einer Frl. König in Mannheim ein vorzüglich geeignetes Organ gefunden. Alle diese Damen müssen mir auch die Partien der »Walküren« übernehmen so dass ich nur mit lauter wirklich dramatischen Sängerinnen, nicht mit einer befangenen Choristin, hierbei zu thun habe.
Für die Beschaffung des Orchesters hatte ich mich in erster Linie an diejenigen Hoftheater zu halten, welche volle drei Sommermonate ihre Vorstellungen einstellen, und den Musikern somit den nöthigen Urlaub von selbst gewähren. Nach eingezogener Erkundigung waren diess die Theater von Darmstadt, Karlsruhe, Coburg, Braunschweig und Schwerin, sowie auch Meiningen. Von den Orchestern dieser sechs Theater habe ich mir nun die in jeder Hinsicht vorzüglichsten Musiker bezeichnen lassen und gedenke nun aus diesen den Grundstock meines Orchesters mir zu construiren. Kapellmeister Levi frug kürzlich bei mir an, warum ich mich nicht auch an das königliche Hoftheater in München gewendet hätte; ich konnte ihm als den Grund hier von einfach die soeben gemeldete Rücksicht auf den unerlässlich nöthigen Urlaub der Musiker bezeichnen, welche eine Anfrage in München natürlich ausgeschlossen hätte: dagegen bezeugte ich ihm, dass mich nichts mehr freuen würde, als wenn er auch aus München mir tüchtige Künstler zusenden könnte. –
Zu meinem Conzertmeister habe ich aber den berühmten Violinvirtuosen Wilhelmy ernannt, welcher diese förmliche Ernennung sich als besondere Ehre von mir auserbeten hatte: er wird mir aus der Zahl seiner Schüler besonders tüchtige Violinisten zuführen. Damit ihre Bezahlung meinen Patronen aber nicht zu schwer falle, habe ich aber durchaus angestellte, und somit auch während ihres Urlaubes ihren Gehalt fortbeziehende Musiker, welchen wir somit nur Reise- und Aufenthalts-Entschädigungen zu zahlen haben, vorgezogen. Uebrigens soll mein Orchester ein Muster für alle werden: sechs ausgezeichnete Harfenisten im Orchester und einer auf dem Theater sind mir zugesichert. –
Hier gerathe ich nun in Bangigkeit, ob ich meinen huldreichsten Gebieter in der Erfüllung seines liebevollen Befehles, durch Ausführung aller voranstehenden Details, nicht bereits stark ermüdet habe? – Doch sage ich mir: – Er hat es so befohlen, – und fahre daher fort! –
Um zunächst noch über den Stand der grossen Unternehmung selbst zu berichten, bezeuge ich meinem erhabenen Wohlthäter, dass Sein grossmüthiges Beispiel in jeder Hinsicht förderlich zu wirken scheint: nicht etwa, dass Er Nachahmer gefunden hätte, – das scheint nun einmal unsren deutschen Fürsten nicht eingehen zu wollen! -, aber in Folge des nicht zu unterdrückenden Bekanntwerdens der Thatsache, dass mein Allerhöchster Beschützer nicht, wie man ausgestreut hatte, meiner Unternehmung abhold sei, sondern im Gegentheil sie einzig zur Verwirklichung zu führen beschlossen habe, stellte sich das so böswillig untergrabene Vertrauen auf das Zustandekommen derselben wieder ein, und meine (so wenigen!) thätigen Freunde konnten wieder mit besserem Erfolge werben.
Die namhaften deutschen Maler erklärten sich einem in Berlin von meiner vorzüglichsten Gönnerin, Frau von Schleinitz, gegründeten Comitée bereit, Gemälde und Zeichnungen zu einer Versteigerung zu Gunsten Bayreuth’s zu liefern: etwa im November soll der Verkauf stattfinden, und allem Anschein nach dürfte der Ertrag nicht unbedeutend ausfallen. Ausserdem wird unter der Hand, namentlich von der ganz einzigen jungen Gräfin Dönhoff, einer geborenen neapolitanischen Fürstin Campo Reale, immer wieder einmal ein Patron gewonnen, so dass unter solchen Auspizien sich auch der Muth meines vielgeplagten und bekümmerten Verwaltungsrathes wieder erfrischt, wobei allerdings unser Auge hauptsächlich immer auf die gnädige Gesinnung unseres Allerhöchsten Patrones gerichtet bleibt.
Gewiss ist nämlich, dass die noch fehlenden Kosten der Unternehmung schliesslich nur durch die ungeheuer erregte Neugierde des reicheren Publikum’s kurz vor den endlich angekündigten Aufführungen eingehen werden, bis zu welchem Zeitpunkte zu gelangen eben nur unsere wesentliche Sorge sein kann. In diesem Sinne würde unser Allerhöchster Patron uns die gedeihlichste Beruhigung gewähren, wenn Er uns gestatten wollte, von den zunächst jetzt noch eingehenden Patronatgeldern für das Erste noch den unerlässlich nöthigen Gebrauch zu machen, dass wir unaufschiebbare Terrainarbeiten, sowie sonstige zur Sicherung des Gebäudes nöthige Arbeiten damit bestreiten können.
Glücklicherweise haben wir für das eigentliche Künstlerpersonal jetzt gar keine, und schliesslich (bei dem guten Willen Aller) wohl nur sehr geringe Ausgaben; auch den Zuschauerraum haben wir erst ganz am Schlusse der übrigen Arbeiten decorativ auszuführen; dennoch würden wir im Betreff der angedeuteten nöthigen Arbeiten in einen sehr peinlichen Rückstand gerathen, wenn wir den durch Ihre erhabene Grossmuth uns gewährten Vorschuss sogleich schon jetzt von den spärlich eingehenden Patronatsgeldern zurückzahlen müssten, anstatt sie für jene anderweithigen, so nöthigen Arbeiten zu verwenden. Es versteht sich, dass von jeder Ausgabe in diesem Sinne Ihrem Hofsecretariate genaue Rechnung bis dahin abgelegt wird, wo die Zurückbezahlung des Vorschusses selbst einzutreten hat.
Verzeihen Sie, mein huldreichster Freund, diese trockene Abschweifung, auf welche ich gerathen musste! Besteht ja doch alles Schöne auf der Erde eben nur durch seinen Kampf mit der trägen Materie der realen Interessen!
Sie vor Allem, oh! Einziger!, wissen es ja, mit welchen Dämonen ich mein langes Leben über zu ringen hatte, um dem Aetherischen meines Ideales einen Boden in dieser bleiernen Welt zu gewinnen. Unendlich zarter und feiner gewoben, als Alle es verlangen und bedürfen, bilde ich meine idealen Schöpfungen, und muss deshalb wohl um so rauher mit der Brutalität der Materie zu kämpfen haben. – Doch, Gott hat mich so gemacht, dass ich den Kampf aushalten werde, – und wo ich zu erliegen drohte, da sandte er mir seinen Engel! – Und nun zur Beantwortung der lieblichen Frage nach – meinem Leben! –
Sie wollen meine Tageseintheilung kennen? Vortrefflich! Denn hier liegt die Entscheidung davon, welche Richtung das ganze Leben hat, welches diese Tage ausfüllen. Um nun meinen Tag zu charakterisiren, habe ich sogleich die Tendenz meines jetzigen Lebens zu bezeichnen: diese ist, dem Dämon alles irdischen Daseins so viel Ruhe und Heiterkeit des Geistes, als nur möglich, abzugewinnen, um die mir zugetheilten Aufgaben im Dienste des Genius der erlösungsbedürftigen Menschheit vollständig erfüllen zu können.
Wie sich nun hierfür jetzt mein Leben gestaltet hat, empfinde ich nur dieses eine grosse Bedauern, dass ich nicht um zehn oder fünfzehn Jahre jünger bin; es kommt mir so vieles so sehr spät! Zwar sehe ich noch ein langes rüstiges Leben vor mir, denn nirgends macht sich in meinen Lebenskräften eine Schwächung bemerkbar, und allen Freunden gelte ich in dieser Hinsicht als ein Wunder. Nur fühle ich, dass ich schon vor zehn und fünfzehn Jahren derselbe war, der ich heute noch bin, und diese vergangene Zeit ist mir nun für die Ausnutzung in dem segensreichen Zustande, in welchem ich jetzt angelangt bin, verloren gegangen: d.h. ich wollte, selbst bei der Voraussetzung eines noch langen und produktiven Lebens, welches mir beschieden sein dürfte, dieses noch mit zehn bis fünfzehn Jahren bereichern können.
Da hat mir denn nun das Schicksal nach einer dreissigjährigen unfruchtbaren Ehe noch einen Sohn beschieden. Was für mich darin liegt, mir zu sagen: ich habe einen Sohn, – ist unbeschreiblich! Er kam wie Siegfried zur Welt, mitten im Toben des Schicksal-Gewitters. Aber auch so strahlend ruhig und sonnig ist er: nur gleicht er, namentlich im Blicke, dem Christuskinde der Sixtinischen Madonna. Es ist unmöglich, dass dieser Sohn unbedeutend werden solle. Nur muss ich lächeln, dass die Leute, wenn sie mich mit dem Knaben neben mir gehen sehen, behaupten, es sei, als ob sie mich selbst als Knaben neben mir erblickten. –
Nun hat natürlich mein Leben eine ganz andere Bedeutung gewonnen: jetzt hat jeder Besitz, Domizil, Bürgerrecht, Vermögen, Alles hat jetzt einen Sinn, den es sonst nie für mich hatte. Und nun habe ich ein weises Weib, die alles das mir ordnet, belebt und vergeistigt. Sie hat den Druck des Tageslebens von mir genommen, und hält die Wache vor meiner Ruhe. Sie hat keine andere Betrübniss, als wenn sie zu gewahren hat, dass nicht alle Störungen mir fern zu halten sind, ja dass es mir unerlassen bleiben muss, oft in einen völligen Sturm von Aufregungen und Anstrengungen mich zu werfen.
So war es im vergangenen Sommer, wo es nicht anders ging, als dass ich jedem der Sänger seine oft ungeheuren Scenen mit dem leidenschaftlichsten Accente selbst vorführen musste: hier gerieth ich allerdings in eine so starke Angegriffenheit, dass ich schliesslich die eingetretene Pause zu meiner Erholung als völlige Rettung begrüssen musste. In ähnlichen, oft übermenschlichen Anstrengungen, denen ich mich für meinen Beruf oft aussetze, liegt wohl auch der Grund beständiger, mich quälender Leiden, die mir leider den Schlaf sehr häufig rauben, und gegen welche ich eigentlich immer in einer Kur begriffen bin.
Diesen Sommer habe ich denn nun zum ersten Male »mein« Grundstück hierzu benutzen können. »Mein« Garten, »mein« Haus mit seinem wohleingerichteten Bade dienten mir vortrefflich zur Pflege meiner Gesundheit. Dieses mein »Eigen«, wie ich es ja nach dem Willen Ihrer Grossmuth nennen darf, sagt Ihnen, wenn ich es Ihnen schildere, auch die Tagesordnung, die ich in ihm durchlebe.
Der Raum eines gewöhnlichen anständigen Wohnhauses von einem erhöheten Parterre mit einem oberen Stock ist von mir so vertheilt worden, dass ich den oberen Familien-Wohnraum auf ein Minimum der Wandhöhe reduzirte, und dafür alle Wandhöhe für den unteren Wohnraum bestimmte, wodurch ich hier, da ich auch die Seitenräume nur für kleine Gastschlafzimmer zusammenrückte, einen grossen Saal gewann, welcher jetzt das Staunen aller meiner Besucher erweckt.
Nachdem ich mich nun in den oberen kleinen Wohngemächern gebadet [und] gepflegt, und mit meiner Frau gefrühstückt habe, steige ich gegen 10 Uhr in den Saal hinab. Dieser schliesst meinen ganzen Besitz ein: die Lambris der Wände enthalten meine Büchersammlung; unsere Bilder hängen darüber, ringsum stehende niedere Schränke fassen alle unsere Papiere und Documente; da steht der Flügel, hier mein grosser Schreibtisch mit einer schönen Bayreuther Marmorplatte; gegenüber ein kleinerer Schreibtisch Cosima’s; dort wieder ein grosser Mappentisch mit allen Geschenken und Andenken, ringsumher bequeme Möbel für den Empfang noch so zahlreicher Besucher; das Ganze erleuchtet durch einen auf den Garten hinausblickenden Rundbau. Hier arbeite ich, sobald nicht Geschäfte mich davon abhalten.
Um 1 Uhr wird zur Mahlzeit geläutet; da wird die Thüre zur »Halle« geöffnet. Dieser von Allen bewunderte Raum verdankt seine Entstehung dem Umstande, dass wir einer zu den oberen Räumen führenden breiten Treppe nicht bedurften, weil sie nie Gäste beschreiten; diese schmälere einzig nöthige Treppe konnten wir somit in einen geringen Vorbau nach der Strasse zu verlegen, und dagegen den für ein grösseres Treppenhaus bestimmten Raum, welcher in seiner Höhe durch das ganze Haus führt und durch Oberlicht vom Dache her erhellt wird, zu einer Halle, oben mit einem zu den Familien-Räumen führenden Söller eingefasst, bestimmen:
hier herrscht der Marmor, d.h. die sechs Zumbusch’schen Statuen, welche einst mein huldreicher Wohlthäter mir schenkte, sowie meiner Frau und meine eigene Marmorbüste: die erstere auf meine Bestellung von einem alten Freunde, Kietz in Dresden, höchst gelungen ausgeführt, die letztere von Zumbusch nach dem von Ihnen bestellten Modelle für Cosima ausgeführt. Unter der Gallerie zieht sich ein Fries auf Goldgrund mit einem skandinavischen Schlangenmotiv hin, welcher die Echter’schen Gemälde zu dem Ringe des Nibelungen einschliesst, dieselben, die mein erhabener Freund einst für mich nach den Fresken des Ganges in der Residenz anfertigen liess.
Durch diese Halle gelange ich nun mit Cosima in die bescheidene Speisestube, wo ich die Kinder um den Familientisch antreffe, und, nachdem Alles gehörig geliebkost ist, das gemeinsame Mahl eingenommen wird. Hier entscheidet sich die Laune des Tages. Wenn nicht bedeutendes Unwohlsein oder durch widerwärtige Geschäfte herbeigeführte Verstimmung die Obmacht gewonnen haben, wird der Kinder-Familien-Tisch meistens zum Quelle heiterer Laune.
Es ist mir ein unendlich wohlthätiges Gefühl, unter der sorgsamsten Pflege der Mutter, die Kinder meines armen Freundes Bülow, die ihm selbst fast nur eine Last waren, so vortrefflich als nur irgend ihre Anlagen [es] gestatten, gedeihen zu sehen. Mein Sohn ist von allen Kindern fast schwärmerisch geliebt: Alles hört nur auf seine witzigen Einfälle, durch die er die kleine Gesellschaft in fast fortwährendem Lachen erhält. Diess verfehlt denn nun auch meistens seine Wirkung auf mich nicht, ein tief dankender Blick auf die Mutter schliesst dann das heitere Mahl, worauf dann im Garten der Kaffee eingenommen, das Bayreuther Tageblatt (die einzige Zeitung, welche ich noch in mein Haus kommen lasse und lese) durchblättert, und gewöhnlich ein anregungsvolles Thema der Kunst, der Philosophie oder des Lebens von mir und Cosima besprochen wird.
Hierauf geht es zu einer kleinen Ruhe, nach welcher dann wieder im grossen Wohnsaale nachgesehen wird, was etwa von der Post oder sonst woher eingetroffen ist. Glücklich bin ich dann, wenn schlimme Nachrichten ausbleiben, und dafür sich nur zum Componiren eingesandte Gedichte, kunstphilosophische Abhandlungen, welche ich dem Könige von Bayern unterbreiten soll, Anerbietungen von Theatergarderoben und Ritterrüstungen für das Nibelungentheater, oder auch, was das Häufigste ist, Bewerbungen um mein Autograph von Seiten englischer und amerikanischer Kunstfreunde vorfinde: denn auf alles Solches habe ich mich endlich, nothgedrungen, gewöhnt, ganz und gar nicht mehr zu antworten.
Alle sonstigen Correspondenzen nimmt mir meine liebe Frau ab, nachdem sie sich mit mir verständigt, was in den meisten Fällen gar nicht mehr erforderlich ist. Steht Alles gut, so wird nun noch in der Vormittagsarbeit etwas fortgefahren, also etwa noch eine Seite instrumentirt. Dann geht es auf einen Spatziergang, oder, wenn der Wagen des »Sonnenwirthes«, des einzigen Lohnequipagenhalters, zu haben ist, kommt es mit den Kindern zu einer Fahrt nach »Eremitage« oder »Fantaisie«, wo dann im Walde »Entdeckungsreisen«, wie es die Kinder nennen, veranstaltet werden.
Oft besuche ich aber auch nur das Festtheater auf dem lieblichen Hügel vor der Stadt, welches ich im vergangenen Sommer längere Zeit vermeiden musste, weil es fortgesetzt von so zahlreichen Fremden besucht wurde, dass ich diesen auszuweichen hatte. Ich freue mich dann der Liebe der Bayreuther Bevölkerung zu mir, welche in jeder Weise sich mir kund giebt, da Alle wohl erkennen, welche grosse Bewegung meine Unternehmung ihrer Stadt zugeführt hat. Mir ist versichert worden, dass die Fremden, welche zur Besichtigung des Theaters diesen Sommer hierher gekommen sind, sich nur nach vielen Tausenden zählen lassen, und oft an einem Tage vier bis fünfhundert derselben den zukünftigen Festbau besuchten. –
Nun kommt der Abend: um 7 Uhr ein schlichtes Mahl mit den Kindern. Um 8 Uhr Rückzug in den Saal mit Cosima, wo denn ständig eine Lectüre vorgenommen wird, falls nicht meinen häufigen Gästen es gestattet ist, uns jetzt zu besuchen, wo dann für Gespräch und Musiziren gesorgt wird. Diese Abende gelten dann zugleich als Entschädigung für die aufopferungsvolle Arbeit, welche mehrere sehr tüchtige junge Musiker seit lange bereits übernommen haben, indem sie die für die Aufführungen nöthige Copie besorgen. Sendungen an sie kommen bereits unter der Adresse: »Nibelungenkanzlei in Bayreuth« an. Es sind ihrer jetzt vier: ein Sachse, Zumpe, welcher schon kapellmeistert hat, ein Ungar, ein Russe und endlich gar ein Macedonier.
Diese bilde ich zugleich als dereinstige tüchtige Dirigenten meines Werkes aus, während sie mir für jetzt in Allem dabei helfen müssen. Diese meine Gesellen lasse ich dann des Abends musiziren, und sie behaupten hierbei einzig etwas zu lernen, jedenfalls mehr als in den theuer ausgehaltenen Conservatorien und Musikschulen. –
Ausserdem hat dieser Sommer mir so zahlreiche Besuche alter und neuer Bekannten zugeführt, dass es mir einmal einfallen konnte, Bayreuth für das Centrum der Welt zu erklären. Gegenwärtig sind denn auch diese Besucher, sowie namentlich die Bayreuther Bürgerschaft höchst befriedigt, an der Vorderwand meines Hauses, welche der Strasse zugekehrt ist, ein Gerüste aufgerichtet zu sehen, weil sie mit Recht annehmen, dass dort, wo sie früher die geschlossene Wand ohne Fenster so empfindlich ärgerteA1, »etwas« hinkommen soll.
In Wahrheit hatte meine Frau den vortrefflichen Gedanken, von einem uns befreundeten jüngeren Historienmaler, Krausse aus Weimar, welcher diese Kunst vorzüglich erlernt hat, ein »Scrafito« ausführen zu lassen. Dieses stellt in monumentaler Zeichnung das »Kunstwerk der Zukunft« dar. Die Mitte nimmt der germanische Mythos ein; da wir charakteristische Physiognomien haben wollten, bestimmten wir hierzu den Kopf des verstorbenen Ludwig Schnorr; ihm fliegen von beiden Seiten die Raben Wotan’s zu, und er kündet nun die empfangene Mähre zweien Frauengestalten, von denen die eine die antike Tragödie, mit der Porträtähnlichkeit der Schroeder-Devrient, die andere aber die Musik, mit dem Kopfe und der Gestalt Cosima’s, darstellt; ein kleiner Knabe, als Siegfried gewappnet, mit dem Kopfe meines Sohnes, blickt an ihrer Hand mit muthiger Lust zur Mutter Musik auf. Ich glaube, das Ganze wird vortrefflich gerathen, und es soll mein erhabener Freund sofort eine Abbildung davon zugesandt erhalten. –
Ein, im Hofe vor dem Hause eingehegter, bepflanzter Platz schliesst bereits den Granitsockel ein, auf dem die Erz-Büste des Eigner’s alles meines Gedeihens und Glückes aufgestellt werden soll. Ihre Herstellung nach meinem Wunsche hat noch Schwierigkeiten: sie muss, wie sich aus den Verhältnissen des Ganzen herausstellt, von doppelter Lebensgrösse sein. Meister Zumbusch erklärte mir nun, die Büste würde leichter und minder kostspielig in Marmor herzustellen sein, während zu einem Erzgusse erst ein neues Modell ausgearbeitet werden müsste, was viel Zeit nähme und grössere Kosten verursachte. Nun kann ich mich aber nicht entschliessen, fast die Hälfte des Jahres über, nämlich gegen die rauhe Witterung, die Büste mit einem Holzgehäuse zu verschliessen, was bei dem Marmor unerlässlich wäre. So bin ich denn noch in der Unentschiedenheit, und blicke einstweilen mit Trauer auf den leeren Platz.
Ach! Welches Glück wäre es, wenn unser Allergnädigster Herr auch nur einmal einen Blick in Sein armes Bayreuth werfen wollte! Fast möchte ich es schon deswegen wünschen, weil dieser Blick Ihm dann auch im Betreff meines Hauses die Wahrheit erkennen lassen würde, welche so widerwärtig in den Zeitungen immer entstellt wird. Wir haben Etwas, was alle Welt seiner Neuheit und Originalität wegen sehr überrascht, wirklich mit geringen Mitteln hergestellt, indem wir z.B. jede äussere Verzierung ausliessen, und dagegen den künstlerischen Theil der inneren Ausführung von sehr namenlosen Handwerkern herstellen liessen, welche diessmal nur dadurch etwas leisteten, weil sie beständig auf das Mühsamste von uns angeleitet wurden.
Dennoch wäre mir diess Alles nicht möglich geworden, wenn seit der neueren Reichsgesetzgebung nicht das geistige Eigenthum einen energischen Schutz erhalten hätte, wodurch es mir nun möglich geworden ist, von den jetzt immer häufiger stattfindenden Theateraufführungen meiner ganz schutzlos preisgegebenen älteren Werke, einige Einnahmen zu beziehen, die mir sonst gänzlich entgingen. Diesem günstigen Umstande verdanke ich es denn auch, dass ich an die dereinstige Versorgung meiner Familie mit ziemlicher Beruhigung denken kann, da der Schutz des Eigenthumes meiner Werke bis auf dreissig Jahre nach meinem Tode hinausreicht.
Für jetzt und die nächste Zeit habe ich allerdings vollauf zu thun, um die Mehr-Kosten meiner hiesigen Ansiedelung und Einrichtung zu erstatten, und da, wenn der König einen Gefangenen besucht, diesen Akt der Huld immer eine königliche Gnade begleiten will, benutze ich kühn diese Veranlassung, meinen erhabenen Herren nochmals um diejenige Erleichterung für mein Auskommen zu ersuchen, die Er mir durch einen ungeschmälerten Fortbezug des mir grossmüthigst gewährten Gnaden-Gehaltes herbeiführen würde.
Als ich, vor nun längeren Jahren, für einige Zeit mit einem, durch Abzug eines Vorschusses verkürzten Gehalt mein Leben bestreiten zu können glaubte, wusste ich noch nicht, dass mir das andrerseitig so grosse Glück zu Theil werden sollte, Pfleger einer Familie zu sein. Vieles hilft mir jetzt in den übernommenen Pflichten, aber frei konnte ich mich doch erst seitdem wieder bewegen, als Ihre Gnade dem Abzuge jenes Vorschusses Einhalt gestattete. Ich wage es, Ihnen die Bitte um Forterhaltung dieser grossmüthigen Rücksicht zu Füssen zu legen. –
Da kommt es mir denn immer wieder in den Sinn, wie schmerzlich ich es zu bedauern habe, nicht etwa zehn Jahre jünger zu sein: ich habe nämlich so wenig Zeit mehr zum geduldigen Abwarten! Andrerseits ersehe ich nämlich, dass man allerdings als Deutscher sehr alt werden muss, um einiger Maassen zu den Früchten seiner Saaten zu gelangen; diese reifen mir jetzt, das gewahre ich wohl, und, hat mir der Himmel das Alter eines Goethe, Gluck, Haydn u.s.w. beschieden, so glaube ich wohl auch Früchte pflücken zu können, wie sie noch keinem reiften. –
Als die Familie Feustel zum ersten Male in meinen fertig gewordenen Wohnsaal trat, sagte die Frau: »Was werden Sie hier nun erst schaffen!« – Ich blickte Cosima an, und flüsterte ihr zu: »Ja, ja, – an den Parzival glaube ich nun auch!« – Und dieser Parzival, mein holder König, er sei Ihnen gelobt! Schon liegt Alles zu den Studien bereit. – Aber, denke man von der »Götterdämmerung« nicht gering! Ich habe jetzt unter der unablässigsten Unterbrechung mit völlig qualvoller Mühe an der Instrumentation dieses Schlusswerkes arbeiten müssen, und oft verwünschte ich mich, dass ich es so verschwenderisch reich entworfen: es ist der Thurm, der das ganze Nibelungen-Gebäude bis hoch in die Wolken überragt! Das sagt Jeder, der das Werk kennt. Oh! Theurer, Herrlicher! Haben Sie keine Sorge um meine Ausführung! Nichts, nichts werden Sie vermissen, und so unendlich viel Neues, Ungekanntes aus diesem Werke erfahren, dass jeder Vorwurf Ihnen ferne bleiben wird! –
Wie aber steht es nun mit Ihrer Geduld? Hatte ich Sie recht verstanden, hochgeliebter Herr, als ich mir schmeichelte, die grösste Ausführung in der Beantwortung Ihrer Fragen würde Ihnen erwünscht sein? Und noch lange wäre ich nicht fertig, denn von Ihnen den Mund mir gelöst zu wissen, heisst ihn überfliessen machen. So wage ich denn wirklich noch eine letzte Besprechung, die sich fast in eine demüthige Frage meinerseits verwandeln dürfte, denn – sie betrifft den vielleicht sehr schwierigen Punkt Ihrer königlichen Anwohnung bei den zukünftigen Festaufführungen.
Wie soll ich nun – schliesslich – beginnen, um, mit der mir gebührenden Bescheidenheit, diejenige Frage zu berühren, welche vielleicht von Anfang herein ein schwieriges Hinderniss bezeichnete, das meiner ganzen Unternehmung entgegenstand? Ich weiss es, und habe es an einem energischen Beispiele erfahren, dass der hocherleuchtete Beschützer meiner Kunst mit den Ausführungen eben dieser Kunst es hochernst nimmt, und in der Beiwohnung derselben keine seicht-conventionelle Unterhaltung sucht.
Die Aufführungen meines grossen Werkes biete ich nun, eigentlich – in Ihrem erhabenen Namen, mein König! – dem deutschen Publikum; unter den Patronen der Unternehmung befinden sich – vom Kaiser ab, deutsche Fürsten. Der Antheil derselben hat sich keineswegs so feurig erwiesen, dass ich annehmen sollte, es habe sich bei ihnen mehr um die Sache selbst, als um ein nothgedrungenes blosses Abfinden mit derselben gehandelt. Dem ohngeachtet ist es möglich, dass manche dieser durchlauchtigsten Herren zu den Festvorstellungen sich einfinden. Ich habe deshalb eine, den Zuschauerraum abschliessende, mit besonderem Eingange versehene Gallerie errichten lassen, welche zum mindesten hundert Personen bequem fasst.
Diese Gallerie steht ausschliesslich meinem erhabenen Herrn und Könige zur Verfügung: Er wird auf ihr zulassen, wen Er zu bestimmen die Gnade hat, während alle übrigen, durch Patronat-Zeichnungen erlangte Rechte, nur auf gute und bequeme Sitzplätze im Hauptraume lauten. Nun gelange ich zu der bangen Frage: wird mein König wirklich zu den Festaufführungen herkommen? Wird Er ihnen durch seine erhabene Gegenwart die wahre Festweihe geben? Oder – wird Er, der Tief- und Ernst-Sinnige Sich der Genossenschaft selbst von Fürsten, welche möglichen Falles gleichfalls eintreffen dürften, entziehen wollen, und lieber ferne bleiben, als zugleich den wohl mancherlei Störungen im Kunstgenusse Sich auszusetzen, welche die Berücksichtigung jener erlauchten Besuche Ihm bereiten könnten?
Gewiss frage ich sehr unbefugt, denn keine Ihrer gnädigen Aeusserungen hat mich hierzu veranlasst. Sollte ich dennoch aber mit meiner Sorge auf einen Scrupel treffen, welcher irgend wie meinen erhabenen Freund beunruhigen dürfte, so erflehete ich mir nichts Anderes, als Ihre gnädige Willensmeinung genau kennen zu lernen. Jedenfalls glaube ich mit einem Anerbieten Ihnen nicht ganz unwillkommen zu sein, nämlich damit: in der ersten Woche des Monats August 1876 zunächst bei vollkommen verschlossenem Auditorium meinem erhabenen Herren, als einzigem Zuhörer, eine Aufführung des ganzen Werkes – gleichsam als Hauptprobe – zu veranstalten. Was nachher mein König beschliessen würde, ob Er dem deutschen Kunstfeste durch Seine fortgesetzte erhabene Gegenwart die vollendete Weihe eines wahren nationalen Entstehungsfestes zu verleihen geruhen würde, das soll dann vielleicht dem Erfolge der Abende überlassen sein, an welchen das Werk Ihm zuerst allein übergeben wurde.
Ich gestatte mir diese Andeutungen meinem erhabenen Herren vorzuführen, um Ihn selbst mit den Möglichkeiten vertraut zu machen, unter denen Er nach Allerhöchstem Dafürhalten wählen und Seinem ehrfurchtsvoll getreusten Diener demnach Seine Befehle ertheilen werde. Beklemmend ist es mir einzig, dass ich den Zeitpunkt der Aufführungen noch so weit hinausrücken musste; mein sicheres Bewusstsein sagt mir aber, dass nicht Mangel an Eifer meiner Seits hieran Schuld ist, wogegen es mein tiefster Trost ist, dass, nach Allem was ich erlebt und erfahren habe, die endlich dennoch verwirklichte Ausführung meines Unternehmens eine ermöglichte Unmöglichkeit dünken muss. Nur einem Könige wie Sie, Erhabener, und nur – vielleicht mir mit Ihnen durfte diess gelingen.
Heil! Heil Ihnen, mein König! Heil den unsichtbaren Genien, die Unsrem Werke lauschen! Reichster Segen dem Herren meiner Tage, dem Gebieter meiner heiligsten Seelenkräfte! –
So schliesst meines erhabensten Wohlthäters
Ewiges Eigen
Richard Wagner
Bayreuth.
1 October 1874