Donnerstag 8ten (8. Oktober 1874)

Cosima Wagner Tagebücher

Schon um 9 Uhr habe ich bei dem guten Bürgermeister zu erscheinen, um densel[ben] zu ersuchen, womöglich eine Pression auf den unseligen Maler auszuüben, damit derselbe sich mit Ehren wenigstens zurückzöge. 

Der Bürgermeister erzählt mir, daß R. bei der Sitzung bewundernswürdig in Mäßigung und doch Wahrhaftigkeit gewesen sei, ja daß der Moment erhaben gewesen wäre, wo er Herrn Hoffmann gesagt hätte, wenn er es nicht vermöchte, die Menschen, welche unter ihm zu arbeiten hätten, zu gewinnen und zu begeistern, wie es ihm selbst, R., gelänge, wenn er mit seinen Sängern zu tun hätte, dann könne er eben die Aufgabe nicht lösen, welche ihm gestellt worden wäre. Herr Groß teilt mir den schlimmen Eindruck [mit], welchen ihm und allen Herrn Hoffmann’s Benehmen gemacht. – 

R. sehr ermüdet, hatte eine schlimme Nacht, dazu ist er von Flechten an zwei Fingern der Hand sehr geplagt und dadurch sehr gereizt. – 

Die Nachrichten von dem Übertritt der Königin-Mutter zum Katholizismus und die Einsperrung des Grafen Harry Arnim[i] bilden natürlich den Hauptgegenstand des Gesprächs. Abends aber die »Anabasis« zur Erholung von allem Wust des Lebens.


[i] Harry Graf von A. (1824-1881) riet während des Vatikanischen Konzils den dt. Bischöfen zum Protest gegen das Unfehlbarkeitsdogma, war 1872 Botschafter in Paris, 1874 wegen Begünstigung durch bestimmte Hofkreise von Bismarck abberufen; darauf wegen Nichtherausgabe bestimmter Dokumente aus seiner diplomatischen Tätigkeit Herbst 1874 verhaftet; er flüchtete ins Ausland und veröffentlichte die Broschüre »Pro nihilo«, Zürich 1876, in der er unter Verwendung geheimer Dokumente Bismarck angriff.

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