Freitag 23ten (23. Oktober 1874)

Cosima Wagner Tagebücher

Gestern kehrte ich von Dresden heim; von meinem Aufenthalt in Dresden führe ich kein Tagebuch, weil mich R. dorthin nicht begleiten konnte. Ich ging des Zahnarztes wegen, und auch um das Luisenstift zu besuchen. Ich erhielt einen guten Eindruck und glaube Gutes zu tun, wenn ich sie dorthin auf einige Jahre gebe. 

Donnerstag 22ten um 6 Uhr verließ ich mit den zwei Mädchen Leipzig, wo ich einen Abend in Gesellschaft von Frau v. Meyendorff zugebracht hatte; in Neumarkt um 12 traf ich R. mit den drei Kindern an; er hatte mir jeden Tag geschrieben, doch wie vieles [hat man] sich zu sagen beim Wiedersehen; keinen wollte er empfangen während meiner Abwesenheit; »sie müssen wissen, was es heißt, wenn du im Hause bist«. 

Zu Hause zeigte er mir das Buch vom Krieg, welches er studiert hat, sonderbares Licht fällt auf den Kronprinzen, welcher, wie es scheint, durchaus nicht gewollt hat, daß eine Schlacht ohne ihn geliefert würde, und den General Hartmann[i] hingehalten hat. Auch die Weißenburger Linien scheinen R. eine durchaus überflüssige Schlächterei gewesen zu sein. – 

Abends trinken wir auf des Vaters Geburtstag, und dann früh zu Bett. – 

Am heutigen Tage befindet sich R. wohl und heiter, er sagt: »Wenn du fort bist, fehlt mir der Haken, an dem ich hänge, ich falle dann zusammen.« R. kommt vor vielen Unterbrechungen schwer zum Arbeiten, ich schreibe an Hans, um ihm den Plan, die Kinder in das Stift zu geben, zu unterbreiten. 

Nach Tisch versuchen wir den kleinen Dürertisch zu stellen. Während R. zur Ruhe ging, beginne ich die Schrift von Pr. Nietzsche: »Schopenhauer als Erzieher«[ii], welche R. schon gelesen hat und welche uns im höchsten Grade fesselt. Abends lese ich R. daraus vor.


[i] Julius von Hartmann (1817-1878), preuß. General, 1867 Militärbevollmächtigter in München, 1870/71 führte er die 1. Kavalleriedivision in den Schlachten von Metz und Orléans, am 19. Januar 1871 besetzte er Tours, 1871-75 Gouverneur von Straßburg.

[ii] »Unzeitgemäße Betrachtungen, Drittes Stück: Schopenhauer als Erzieher«, bei Fritzsch, Leipzig 1874.

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