Dreifach heiliger, denkwürdiger Tag! Gegen die Mittagsstunde ruft mir R. hinauf, ich möchte ihm die Zeitungen hinabreichen; da er mir gestern geklagt, wie angestrengt er sei, und noch versichert, er würde erst Sonntag fertig, vermeinte ich, er könne vor Müdigkeit nicht mehr arbeiten, scheu wich ich der Frage aus; um ihn zu zerstreuen, warf ich ihm den eben erhaltenen Brief des Vaters hin, vermeinend – da er freundlich in Bezug auf unsere Reise nach Pest war – ihn zu zerstreuen.
Es läutet zu Mittag, ich treffe ihn, den Brief lesend, er verlangt Erklärungen von mir, ich sage ihm, was ich hierüber zu antworten gedenke, vermeide mit Absicht, auf das Partiturblatt zu blicken, um ihn nicht zu kränken. Gekränkt zeigt er mir, es sei vollendet, und sagt bitter zu mir: Wenn ein Brief des Vaters käme, sei alle Teilnahme für ihn, alles weggewischt – ich unterdrücke den Schmerz des Mittags, doch wie R. nachher die bittre Klage wiederholt, so muß ich in Tränen ausbrechen und weine noch jetzt, indem ich dies schreibe.
So ist mir denn diese höchste Freude geraubt worden, und gewiß nicht durch die schlimmsten Regungen in mir! »Daß wissend würde ein Weib.« Daß ich unter Schmerzen mein Leben diesem Werke geweiht habe, erwarb mir nicht das Recht, seine Vollendung in Freude zu feiern. So feiere ich sie im Schmerze, segne das hehre, wundervolle Werk mit meinen Tränen und danke es dem argen Gott, welcher mir auferlegte, diese Vollendung zuerst durch meinen Schmerz zu sühnen.
Wem ihn sagen, wem ihn klagen diesen Schmerz, gegen R. kann ich nur schweigen, diesen Blättern vertraue ich es an, meinem Siegfried, sie mögen ihn lehren: keinen Groll, keinen Haß, grenzenloses Mitleid mit dem armseligsten Geschöpf, dem Menschen. Und so freue ich mich meines Schmerzes und falte dankbar die Hände. – Was mir ihn verhängte, war nichts Übles, ihn von ganzer Seele hinzunehmen ohne Groll gegen das Los, ohne Vorwurf gegen irgendeinen, bleibt meine Stütze. –
Mögen andere Schmerzen durch diesen einen, so unaussprechlichen gesühnt sein. Die Kinder sehen mich weinen, weinen mit, sind bald getröstet. R. geht zur Ruhe mit einem letzten bittren Wort, ich suche nach Tristanischen Klängen auf dem Klavier; jedes Thema ist aber zu herb für meine Stimmung, ich kann nur in mich versinken, beten, anbeten! Wie könnte ich weihevoller diesen Tag begehen! Wie könnte ich anders danken als durch Vernichtung einer jeden Regung zum persönlichen Sein:
Sei mir gegrüßt, Tag des Ereignisses, sei mir gegrüßt, Tag der Erfüllung, sollte der Genius so hoch seinen Flug vollenden, was durfte das arme Weib? In Liebe und Begeisterung leiden.