Ueber Alles theurer, treu und innig geliebter Freund!

Ludwig II., München an Richard Wagner, Bayreuth – (07. März 1875), erhalten am 12. März 1875 in Wien

In der Ideale heil’ge Räume
Mußt Du fliehen aus des Lebens Drang:

Freiheit ist nur in dem Reich der Träume
Und das Schöne blüht nur im Gesang.

Dieß rufe ich mit Schiller aus und flüchte mich aus dem Drange des Alltaglebens zu Ihnen empor, Sonne meines Daseins, Wunderborn meiner Ideale! Lange, lange hat mich nichts so erfreut und erquickt, als jener so überaus fesselnde Brief, den Sie im vergangenen Herbste an mich zu richten so freundlich waren und worin Sie die Güte hatten, mir, meiner Bitte gemäß, recht ausführlich über den Stand des großen Unternehmens zu schreiben. Für jene so hoch willkommenen Mittheilungen, sowie für den theuren Brief aus Anlaß des Jahresschlusses und die mir hochwillkommene Weihnachtsgabe, die mich innig erfreute, bitte ich Sie meinen endlich direkt erfolgenden, wenn auch spät kommenden, tiefgefühlten Dank entgegen zu nehmen; er stammt aus nie erlahmender, begeisterungserfüllter, idealerglühender Seele, aus einem Herzen, das in bis in den Tod getreuer Freundschaft für Sie, treu Geliebter, schlagen wird. Wie traut und schön, wie sinnreich in der Ausführung muß, den trefflichen Abbildungen zu entnehmen, das Heim sein, welches Sie Sich in Bayreuth geschaffen haben! Wahnfried muß ich besuchen! – Ihr Vorschlag, vielgeliebter Freund, statt abgeschmackten, fürstlichen Collegen im Theater die honneurs zu machen und somit das feilste, fade, mir ebenso wie früher verhaßte Hofleben nach Bayreuth zu verpflanzen und mir somit den heiß ersehnten Kunstgenuß zu verbittern, Ihr Vorschlag, sage ich, das große Werk Anfangs vor mir allein, etwa unter dem Namen einer Generalprobe (wie es bei Tristan der Fall war), zur Aufführung zu bringen, dieser Vorschlag entzückt mich; denn so kann ich mich ungestört von lästigen Angaffern dem glühend ersehnten Genusse, den Ihr göttliches Werk mir bieten wird, hingeben. Dringend aber bitte ich Sie, dreimal allein vor mir das Werk zur Aufführung bringen zu lassen; denn aus vollen Zügen drängt es mich, Wonnen schlürfen zu können, aus jenem Wunderbronnen mich zu laben, wonach ich verlange seit so vielen, vielen Jahren. Die Sehnsuchts- und Begeisterungsflammen für Ihre Ideale werden nie in mir erlöschen! – Sie schrieben mir in jenem himmlischen Briefe vom 1. Okt. es wäre noch nicht entschieden, ob die Sängerin Nielson die Parthie der Sieglinde erhalten wird. Ist dieß nun festgestellt? werden im August dieses Jahres die Proben sicher beginnen? ist es ganz bestimmt, daß im Aug. 76 das große Unternehmen in das Leben tritt? Ich bitte Sie, mir gütigst über den jetzigen Stand der Dinge Mittheilungen machen zu wollen! Ich wäre Ihnen so dankbar dafür. – Ich ersuche Sie ferner, mir die gediegensten Werke bezeichnen zu wollen, welche in letzter Zeit über Sie, Theuerster, und Ihre Werke erschienen sind. Ist Ihnen vielleicht bekannt, was die letzten Arbeiten von Porges enthalten? Sie schrieben sehr anerkennend über die für die Dekorationen zu den »Nibelungen« entworfenen Skizzen. Wenn Sie so freundlich sein wollten, dafür Sorge zu tragen, daß mir jene Entwürfe zur Einsicht baldigst vorgelegt werden, [so] würde mir dieß sehr große Freude bereiten. – Wie glücklich macht es mich, daß Sie den »Parcival« mir gelobt haben, daß auch dieser ideale, von mir mächtig ersehnte Traum in Erfüllung geht; denn Alles hiezu liege1 zu den Studien bereit, haben Sie mir geschrieben; dieß zu wissen, ist mir eine große Beruhigung. Welch ein gewaltiger Umschwung Ihrer Stimmung muß in Ihnen eingetreten sein; welche Schaffensfreude, welche Gewißheit, Alles Erstrebte zu erreichen, liegt in Ihren letzten Briefen; wie selig macht mich dieß; welch ein Unterschied im Vergleiche zu so manchen Briefen und Aeußerungen, die ich sonst zu meinem tiefen Schmerze von Ihnen vernehmen mußte möge der Geist der Entmuthigung für immer von Ihnen gewichen sein! Wie durch die Herabsendung des Hl. Geistes am Pfingsttage nach heftigen Stürmen das Licht selbst in den verhärtetsten Seelen den Sieg gewann, der Geist der Wahrheit triumphirte, so wird die sonst Ihrem Schaffen so lieblos, so verstockt, oft so begeisterungsbaar, ja feindselig sich zeigende Nation überwunden, durch die in Ihren gottentstammten Werken herrschende Macht der reinen, heiligen wahren Kunst überzeugt und hingerissen werden, wenn im nächsten Jahre das erhabene Werk ihrem Geiste sich offenbart.

Außer der Bitte um die 3 malige Aufführung der »Nibelungen« für mich habe ich noch eine auf dem Herzen, deren Gewährung mich wahrhaft beglücken würde. Ich bitte Sie, theuerster Meister, inständig, für mich (wenn Sie auch sonst nichts davon wissen wollen) jene leidenschaftlich von mir geliebten Worte, die Sie früher für die Brünhilde bestimmt hatten, in Musik setzen zu wollen, jene Verse, welche mit: »Verging wie Hauch der Götter Geschlecht« beginnen, mit »selig in Leiden und Lust läßt die Liebe nur sein!« enden. – Außerordentlich würde es mich freuen, in den Aufführungen vor mir jene so tief bedeutsamen, so wahrheitserfüllten Worte, jenes herrlich erhabene Evangelium der Liebe, welches Brünhilde der Welt vor ihrem Scheiden zurückläßt, erklingen zu hören!

Sind Sie, geliebter Freund, der »Sieger« wohl noch eingedenk? – Fafner ist besiegt, siegreich schwingen Sie Nothung! Vollendet das ewige Werk! Möge Krankheit und Kummer fern von Ihnen fliehen für immerdar, möge, es ist dieß mein sehnlichster, tief empfundener Wunsch, eine lange, lange Reihe glückerfüllter, durch keinen Schatten von Trübsinn jemals getrübter Jahre Ihnen, über Alles theurer Freund, von der Vorsehung beschieden sein, Gottes Segen, der so sichtbarlich stets mit Ihnen war, stets auf Ihrem theuren Haupte und Ihrer Familie ruhen, Ihre Schaffenskraft u. -freude Ihnen erhalten bis in das höchste Alter!

Die tief innigsten Grüße entsende ich Ihnen aus unwandelbar treuer Freundesseele und verbleibe in unerschütterlicher Liebe, im felsenfesten Glauben an das Gedeihen, den Triumph Ihres großen Sendungswerkes und hoffend auf die Realisirung aller Ihrer Pläne, Ihrer heiligen Ideale – mitfühlend leidvoll, wenn Sie leiden, glückerfüllt, wenn ich weiß, daß die Sonne des Glückes Ihnen lacht – treu ohne Wanken bis in den Tod

Ihr
getreues Eigen
Ludwig.

München
den 7. März 1875.

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