Dienstag 9ten (9. Februar 1875)

Cosima Wagner Tagebücher

Unruhige Nacht. Ich träume von Marterwerkzeugen und Mördern, R. dagegen von Friedrich dem Großen, welchen er mit seinem Generalstab kommen sieht, mit sonderbarem Hut, bloß aus zwei Flügeln bestehend, wir auf einer Anhöhe, er will herauf, wir helfen ihm, er frägt: Wo ist denn Ihr Mann mit der weißen Feder auf dem Hut? Er meinte den Wandrer, von welchem R. ihm gesprochen; beim Heraufziehen bemerkt R., daß das Tuch seines Rockes (blau) so neu sei, und lachend wacht er auf. – 

Erinnerung an die Heimkehr aus Italien,[1] Überschwemmung des Tessins, Wunder, daß Fidi so gut zur Welt gekommen bei diesen unerhörten Anstrengungen, Erkältungen am Beginn der Schwangerschaft. Schöne heilige Zeit der Verborgenheit mit den zwei »Huscheln« in Tribschen bis zum Sonnenmorgen. »Es sollte ein liebliches freies Wesen in diese Welt kommen«, sagt R. – Das gibt einem ein religiöses Vertrauen. – Gestern abend sprach er von dem Eindruck, welchen ihm das Pförtner-Lied aus dem Schiller’schen »Macbeth«[2] gemacht, bei einer Vorstellung in Dresden, schön empfunden von Schiller; wenn auch der Humor bei Shakespeare etwas ganz anderes sei; das führt das Gespräch zur Scene nach Julien’s Schein-Tod; R. liest sie uns vor, und er und ich, wir staunen wiederum über den Blick in die

Überschwemmung in der Schweiz 1868

Im Herbst 1868 suchten Unwetter und Überschwemmungen die Kantone  Tessin, Wallis. Graubünden, Uri und St. Gallen heim. 51 Todesopfer und enorme Sachschäden leiteten die Entwicklung des modernen Hochwasserschutzes ein (Bild: Überschwemmung im Kanton St. Gallen)

Welt! Einzig wahr, ernst und tief spricht Lorenzo, welcher um den Schein weiß und gleichsam spielt, der Jammer der anderen ist Falsett-Ton, und sie glauben an den Tod, durch diesen Schein hat das Ganze etwas musikalisch Versöhntes, und das Scherzo des Gesprächs der Musiker darauf verletzt nicht. – Ein Herr Böhme schreibt einen impertinenten Brief an R., weil dieser nicht sofort über ein ihm eingesendetes Manuskript erwidert hat. – Herr Beta prophezeit die Herrschaft der Kakokratie[3]. – Der Eid wird abgeschafft, und unser Fürst leitet jetzt direkte Verhandlungen mit den Delegierten der Sozial-Demokratie ein; sehr schön! – R. bringt seinen Siegfried auf die Bahn. Unklare Depesche Richter’s über das Wiener Konzert. Abends in Gfrörer gelesen (zweiter Band) mit vielem Interesse; die Menschen verstehe ich immer weniger, welche sich den Schatz der Offenbarung verkümmern lassen.


[1]Reise Cosimas und RWs vom 14. September bis 5. Oktober 1868, bei Überschwemmungen im Tessin und Gewittererlebnis, s. Annalen in ML.

[2] Übersetzung und Bearbeitung des Shakespeareschen »Macbeth« durch Schiller, 1801.

[3] Herrschaft der Schlechten.

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