Donnerstag, 17. März

Auf dem Meer

Es wird immer göttlicher, es hört bald alles auf; eine unglaubliche Wärme; ich bin nur in meine weissen Pyjamas gehüllt, nichts darunter. Das Meer ist wie ein Spiegel und die fernen Wolken am Horizont können sich vollständig darin erblicken. – 
Fast keine Brise. Heute ist ein Tag, wo man vielleicht Haifische sieht; der Ingenieur hat bereits zwei sehen können, wir armen Tropfen aber noch nicht; dafür Tausende von fliegenden Fische, die auf lange Strecken, durch das Schiff aufgescheucht, nahe über der Oberfläche des Wassers fortfliegen. 
Die Natur liess heute all ihre Wunder an Beleuchtungen los; das wär was für unsren Kranich[1] gewesen! – Die Stimmung nach Sonnenuntergang war wie so ein weiches sinnliches indisches Gedicht. – Der Sternenhimmel, neu und glänzend, das Phosphoriscieren und endlich das Aufgehen des abnehmenden Mondes – dazu noch fernes Wetterleuchten im Norden – und da soll man nicht poetisch angehaucht oder vielmehr anbetend bewundernd dastehen? 
Vormittags las ich Darwin weiter, nachmittags Braut von Messina und einiges aus Don Carlos. Abends – auf der Captains-bridge – Halma und Schach gespielt – ich jedes Mal gesiegt. Ich bin stolz, dass ich bei dem elenden Karten-Troddel-Spiel meistens verliere. Der gut Capitain gewinnt dabei mit einem bürgerlichen Knall-Aplomb, der mich hie u. da etwas nervös macht. Da muss ich immer an den Mohren[2] in Luzern denken, als A. K. ihr mit in den „Faust“ sah, und das Möhrchen – sich nicht besiegen könnend, die Stelle im Buche ihrem unglaublichen – durch innere Nervosität entstandenen Blicke opferte. – 
Spät zu Bette! in der Cabine ist eine namenlose Hitze und wir knannschen zusammen und spritzen mit Wasser. Endlich schläft man ein und ich träume von Levy[3] und Speyer[4].


[1] Friedrich Kranich der Ältere 1857-1924 Maschineriedirektor im Festspielhaus.
[2] Spitzname für Daniela, die einen dunklen Teint hat.
[3] Hermann Levy 1839-1900, erster Bayreuther Parsifaldirigent.
[4] Siehe Anmerkkung 1, Seite 6.

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