Geehrtester Herr Mazière!

Richard Wagner an Adam Ludwig Mazière

Das Erste, was ich in dieser für mich so tief zerstreuenden Zeit der auswärtigen Beschäftigung als musikalische Composition seit der letzten Beendigung der ‚Götterdämmerung‘ wieder aufzuzeichnen vermochte, übersandte ich gestern an Frau Betty Schott als ihr gewidmetes und zugehöriges[1], ‚Albumblatt‘. Im baldigen Begriff des Antrittes einer größeren, höchst mühevollen Konzertreise zum Besten der Vermehrung unseres Bayreuther Patronatfonds ist es mir unmöglich, an die Ausführung der von mir entworfenen und Ihnen zugesagten größeren Orchesterstücke zu gehen, und werde ich wohl erst die für nächsten Herbst und Winter verhoffte Ruhe hierzu benützen können. Ich weiß, daß Sie mich in dieser Hinsicht nicht drängen; doch hätte ich sehr gewünscht, schon jetzt Ihnen eines jener Stücke übergeben zu können, um mit besserem Muthe Sie an die Ausführung jenes brieflichen Versprechens, mir wo möglich im Laufe dieses Jahres bis zur Ostermesse die ursprünglich von mir als Ergänzung des erbetenen Vorschusses noch beanspruchten fl. 5000 auszuzahlen, erinnern zu können. Ich muß dies nun ohne jene bezeichnete Unterstützung thun und Sie dringend bitten, mir sofort noch mit der genannten Summe auszuhelfen. Meine Kasse ist durch Zahlungen aller Art auf das Äußerste erschöpft, ohne daß ich noch alle meine Versprechen lösen konnte; dazu steht mir nun aber eine höchst kostbare Reise bevor, welche es mir durchaus widersteht, aus unseren Patronatsgeldern ersetzen zu lassen, trotzdem meine Opfer nur dieser Angelegenheit gelten; die Gründe hierfür sind äußerlich und innerlich unwiderstehlich.

Ich bin in dieser sonderbaren Lage, während andererseits mir für Compositionen, welche ich unter ruhigeren Umständen sehr leicht und schnell liefern könnte, enorme Preise geboten worden. Als Curiosum in dieser Beziehung nenne ich Ihnen die Firma Peters, welche mir zuletzt für eine neue Orchestercomposition in Ouvertüren-Form sofort 3000 Thaler anbot; dieses Anerbieten war mit einer Kritik meines vermutheten Verhältnisses zu Ihrer geehrten Firma verbunden, welche, da sie auf einer falschen Voraussetzung beruhte, von mir gründlich widerlegt, und das Verhältniß selbst richtig dargestellt wurde, – welches ich nur erwähne, um Sie zu orientiren, falls Sie hiervon Notitz [!] bekämen. Ich bitte Sie nun anzunehmen, daß ich den Charakter solcher Anerbietungen und den Impuls dazu durchaus richtig zu beurtheilen verstehe und keineswegs daraus Nutzen zu ungebührlichen Schraubungen in Ihrem Betreff zu ziehen gedenke. Immerhin melde ich Ihnen dies doch, um Ihnen als Vertreter der Interessen Ihrer Firma gewissermaßen Muth dazu zu machen, wenn Sie die Verantwortung dafür übernehmen sollen, daß Ihrerseits meinen Wünschen, deren Erfüllung mich Ihnen auf das Bestimmteste auch herzlich verbindet, Folge gegeben werde.

Bereits am 10. d.M. gedenke ich mich auf die Reise zu machen und ersuche Sie daher dringend, diese Angelegenheit bis dahin zu meiner Befriedigung in Ordnung zu bringen. Es versteht sich, daß mir Wechsel auf 2 und 3 Monate vollkommen den erbetenen Dienst leisten. Eine hierauf bezügliche nachträgliche Clausel zu unserem letzten Vertrage redigiren Sie ebenfalls wohl und stellen mir dieselbe zur Unterzeichnung zu. –

Hiernach habe ich zunächst noch meine dringende Bitte um größte Beschleunigung der Herstellung des Klavierauszuges der ‚Götterdämmerung‘ (aus welcher ich jetzt 3 große Fragmente in Pest und Wien aufführe) zu erneuern. Könnte ich doch möglichst viele Exemplare des 2ten Aktes noch in diesen Tagen erhalten! Die Sänger sollen diesen Sommer schon hier ihre Partien studirt haben und wissen sich natürlich ohne Klavierauszug nicht zu helfen.

Herr J. Rubinstein, welcher bereits das erste Musik-Bild aus der ‚Walküre‘ (nach meiner Angabe vortrefflich ausgeführt) zur Versendung an Sie fertig hat, äußerte mir einige Betretenheit darüber, daß Sie in Ihrem das Stück aus der ‚Götterdämmerung‘ betreffenden Empfangsschreiben des Honorarpunktes in keiner Weise Erwähnung gethan hätten, nachdem ich ihm gesagt hatte, ich habe Ihnen in diesem Bezug meine Ansicht und meinen Wunsch dahin mitgetheilt, Sie möchten Herrn Rubinstein dieses erste Stück nach billigem Gutdünken honoriren, weshalb ich ihm davon abrieth, in seinem Zusendungsschreiben hierüber gegen Sie sich zu äußern. Vielleicht war hier nur Vergeßlichkeit daran schuld, und in der Annahme hiervon wollte ich Sie um Beachtung meines Wunsches ersucht haben. – Die ‚Walküre‘ wird drei bis vier ‚M[usikalische] Bilder‘ liefern, welche Sie vereinigt sehr füglich als Klavierauszug ohne Worte verwenden können; jedenfalls soll sie der Verfasser auch 4händig (somit sehr erleichtert) zu dem Zwecke eines Klavierauszuges zu 4 Händen, welchen Sie ursprünglich wünschten, bearbeiten.

Ich versichere Sie nochmals, daß nur bei dem hiermit von mir angerathenen und in der Ausführung sorgsamst überwachten Verfahren solche Klavierauszüge ohne Worte einen Sinn haben können, während die hergebrachte Art, einfach den vollständigen Klavierauszug nur mit Hinweglassung des Gesanges 4händig zu arrangiren, mir wirklich wie ein Raub am Verleger und ein Verbrechen gegen das Publikum vorkommt. –

Also: ich bitte um einige Ermunterung für Rubinstein! –

Hierzu empfehle ich mich Ihnen bestens, und zwar ohne den Wunsch zu unterdrücken, in diesen Tagen mit Ihnen eine persönliche Rücksprache nehmen zu können. (Voltz und Batz!!!) – Aber vielleicht sehe ich Sie mit Frau Schott am I. März in Wien zur ‚Götterdämmerung‘? –

Hochachtungsvollst grüßt

Ihr
ergebener
Richard Wagner.


[1] Dieses ‚Albumblatt‘ hatte Wagner bereits am 17. April 1872 (vgl. oben S. 153) versprochen. Es ist eine Gegengabe für die Überlassung des Arrangements der 9. Symphonie von Beethoven (vgl. S. 143) an Frau Cosima Wagner gewesen, nach Mitteilung des Herrrn Geheimrats Dr. Strecker in: »Die Musik Bd. 6 (1903), S. 130 und Bd. 12 (1904) S. 113. – Vgl. übrigens oben S. 40 A. 2.«

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