Mein geehrtester Herr Vitzthum!

Richard Wagner an Heinrich Vitzthum, Hannover

Ich kann es mir nicht ersparen, Ihnen eine sonderbare Verwirrung zu bezeichnen, in welche ich im Betreff Ihrer werthen Frau Gemahlin seit Ihrem ersten Besuche in Bayreuth gerathen war. Ich weiss, dass Richter damals Frau Vitzthum (etwa im Gemein mit Fräulein Pauli) zu einer der Rheintöchter mir vorgeschlagen hatte.

Fräulein Pauli kam gar nicht, und Sie – durch ein Misverständniss veranlasst – besuchten mich auf der Rückreise auch nicht wieder.

Während dem kam FrIn. Lilli Lehmann (aus Berlin) und erbot sich mir alsbald, mit ihrer Schwester Marie und mit FrIn. Lammert in Berlin, die drei Rheintöchter zaglos zu übernehmen und vollständig zusammen einzustudiren. Gern nahm ich diess an. Nun blieben mir aber noch andere Partien zu besetzen übrig: namentlich eben hatte ich mich für eine Sängerin zu bestimmen, welche mit der „Freia“ die „Gutrune“ zugleich übernähme.

Ich forderte hierfür vor Allem eine hohe, schlanke Gestalt, oder (wollen wir einfach sagen:) eine grosse Figur, (da es sich einerseits um eine Göttin neben lauter sehr grossen Darstellern, andererseits um die Braut Siegfried’s, dessen Gestalt mindestens die Grösse Niemann’s erreicht – ich spreche von Herrn Glatz! – handelt.) Nun bleibt mir die Verwirrung unerklärlich, in welche ich, seit Ihrem ersten flüchtigen Besuche, über die Gestalt Ihrer lieben Frau gerathen war: jedenfalls spricht es nicht gegen den Eindruck, welchen ich damals hiervon gewann, dass in der Erinnerung mir – wie meiner Frau – die Grösse derselben, neben der ihr eigenen freundlichen Anmuth, als ganz den nöthigen (idealen) Anforderungen entsprechend erschien. Ich bestand mit Eifer darauf, durch einen erneueten Besuch Ihrer Frau Gemahlin mich der Richtigkeit meiner Erinnerung zu versichern; mit wirklicher Beschämung hatte ich das Opfer anzuerkennen, welches Sie der Erfüllung meiner Wünsche durch jene winterliche Reise brachten, und muss nun gestehen, dass ich sofort beim Wiedersehen Ihrer lieben Frau erkennen musste, dass meine Erinnerung in diesem einen Betreff mich getäuscht hatte. Aus dem Repertoir derselben, sowie aus dem ganzen Charakter ihrer künstlerischen Anlagen, hatte ich auch zu erkennen, dass diese dem Fach der höheren, sogenannten Soubretten, ange-hörten, und befand mich nun, den freundlichen mir gebrachten Opfern gegenüber, in einer selten so stark empfundenen Verlegen-heit, da es mir unmöglich war, den, in einem gewissen Sinne: trivialen, Grund meiner Enttäuschung anzugeben.

Nehmen Sie daher meinen Wunsch, Ihrer lieben Frau Gemahlin eine der (übrigens durch lauter erste Sängerinnen besetzten) Walküren übergeben zu wissen, eher als einen Ausdruck jener Ihnen bezeichneten Verlegenheit an, als für die Ausführung des Planes, welcher mich bestimmte, so hartnäckig auf den erneueten Besuch derselben zu bestehen. Sollte Ihnen die Uebernahme jener Walkü-ren-Parthie unerträglich dünken, so würde ich sehr wohl begreifen, wenn Sie mir dieselbe zurückschickten, ohne dass ich mich dadurch für die Verwirrung, in welcher ich war, und in welche ich Sie gebracht habe, genügend bestraft ersehen würde.

Mit der herzlichsten Bitte um Verzeihung, welche ich besonders auch an Ihre werthe Frau Gemahlin richte, verbleibe ich

Ihr
hochachtungsvoll ergebener
Richard Wagner.

Bayreuth.
9 Febr. 1875.

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