R. singt den Chor „Wacht auf“ (sich freuend, daß er zu unseres Freundes Riedel Jubiläum in Leipzig gewählt wurde). Er sagt: „Das war für mich die Quintessenz des Werkes, das hatte ich zu allererst in Paris und sagte zu Weißheimer in Biebrich: Geben Sie acht, das Vorspiel zum dritten Akt wird die Hauptsache sein. Das steht dem Deutschen an, dacht ich, als ich es entwarf, kein Pathos, keine Extase, herzliche Tiefe, Gemütlichkeit, auf dieser Grundlage ist zu hoffen, diese stell ich mir gern vor.“ –
Wir kommen darauf auf Bismarck und die jetzige Lage, auf eine Auflösung des Reichstages hoffend; „wir hätten zur Not ein deutsches Reich, aber wir haben kein deutsches Volk. (In Frankreich dagegen ist jeder ein Franzose, kann nicht aus dem Zwickel heraus“)** – ganz andere Vertretung wünschte R. für Deutschland. –
Gott weiß, wie wir auf Minna zu sprechen kamen; er sagt, daß was ihn zur Heirat getrieben, zum Teil war, daß er sehr leichtsinnig an sie herangekommen sei und nun gewahrt hätte, daß sie anständig war, und daß andere Verhältnisse, die er für ehrlos gehalten hätte, ganz ehrbare waren. „Ach“ sagt er, „die Differenz der Intelligenz ist das schlimmste; verschiedene Charaktere ziehen sich an und ergänzen sich, aber wo die Intelligenz gar nicht mitkann, da demoralisiert sich auch der Charakter.“ (Alles mit blauer Tinte schrieb [in] R.s Arbeitsstube im neuen Hause.) „Auch fehlte mir das mütterliche Haus, darin ich gern zurückgekehrt wäre, meine Heirat war eine Art von Emanzipation.“ – vor- und nachmittags gehe ich in das Haus. Abends beginnen wir „Iphigenie in Aulis“ von Euripides, können aber nicht lange darin fortfahren, nehmen zu größerer Erheiterung die Bearbeitung von Racine und endlich nur, um im ächtest Großen uns zu taufen, einige Scenen aus „Julius Caesar“, wobei R. bemerkt, daß das merkwürdige dabei ist, daß Shakespeare uns ganz den unsympathischen Caesar gibt, wie er auf uns – ohne daß wir wissen warum – aus der Geschichte wirkt. Staunende Bewunderung darüber, wie Caesar zuerst eingeführt und dann ausgearbeitet (in der Scene, wo er Cicero begegnet) wird. –