Allerseelen-Tag! Meinen befreiten Seelen sei er geweiht, an Marie vor allen gedacht, welche diesen Tag in der Stille immer feierte.
Heute auch will ich an die Oberin des Stiftes schreiben, der Geist der Seligen beschirme meine Entscheidung, daß ich das Rechte tue und vornehme – o segnet alle mein armes Tagewerk, segnet das Opfer, segnet den Entschluß, ihr von der Täuschung Erlösten, denn unsere Weisheit ist Einfalt und unser bestes Ermessen töricht. – So wähle ich diesen Tag, um die erste harte Entscheidung für mich bezüglich der Kinder vorzunehmen, härtere werden folgen, und immer unvertrauender in die eigene Vorsicht werde ich. Vernehmt ihr meinen Gruß, so erwidert ihn mit Segen, des Daseins Last drückt den Schwachen, wenn die unsichtbaren inneren Mächte ihm nicht beistehen!…
R. arbeitet. Wie er mir am Nachmittag erzählt, daß er auch diese Nacht unten gewandert ist, sagt er: »Ich könnte mir gut vorstellen, daß nach meinem Tode mein Geist in diesen Räumen wandeln würde – eine rechte Torheit!«
Ich schreibe an die Oberin, Frau v. Meyendorff schickt mir einen Zettel von Marie Much., ich danke ihr innig dafür, ich habe meine Briefe alle verbrannt. –
Spaziergang mit R. schön, trotz trübem November. Wetter – wir streiten über Shakespeare, welcher tiefer als alle geblickt habe, weil er eine größere Macht der Darstellung hatte. –
Abends mit Lusch gearbeitet. Beim Abendbrot sprechen die zwei Ältesten heiter von ihrem Eintritt in das Stift, was der Mutter, welche so bang den Entschluß faßt, das Herz durchbohrt, doch ist es gut so, und schließlich wünscht man doch, daß Kinder gern hinnehmen, was man für sie beschließt. – Wir lesen abends im neu angekommenen Buch von Pr. Overbeck (Brief an Diognet[i] – Über die Christenverfolgung).
[i] Diognetbrief, eine gehaltvolle, sprachlich hochstehende altchristliche Apologie von unbekanntem Verfasser, vermutlich vom Ende des 2. oder 3. Jh., überliefert in einer einzigen, im Krieg 1870 in Straßburg verbrannten Handschrift.