Sonnabend, 26. März

Singapore

waren wir im New-Harbour von Singapore, fünf engl. Meilen von der Stadt selber angelangt. Ein weicher Duft erfüllte die Luft, die kaum sich regend, alle Bäume erwartungsvoll starr schweigen liess, als harrten sie eines Winkes, um die tropischen Regentropfen aufzuschlürfen.

Der Hafen ist von der Natur durch sanfte dicht bewaldete Hügel umgeben, und die Einfahrt ist ziemlich schmal. Ein blöder kleiner Launch saust uns entgegen; mich wunderts dass so ein dummes Ding sich nicht geniert vor den sanft gleitenden chinesischen Junks mit ihren siebenrippigen Segelen und kauernden nackten Fahrern. – 

Die „Wakefield“ ankerte nah am Einang an dem Landungs-Perron, wo eine Masse von Chinesen u. Malayen standen u. guckten, während einige Engländer sich recht albern ausnahmen in ihren Helmen und mit ihrer wichtigen Miene. Möchte doch wissen, warum immer solch ein langes Gethu vor dem Landen ist. Alles ist fertig, und doch hat noch jeder zu schimpfen u. zu ändern. – 

Wir frühstückten schnell und zogen unsre weissen Leinen-Anzüge an; während dem kamen chinesische Schneider, Corallen-Händler, Obstleute etc. ans Schiff und boten feil. Ich mag sie gern, die Chinesen; sie sind so ruhig, fein in ihren Bewegungen; sie stossen einen nie auf der Strasse, selbst beim grössten Gedränge, sie lachen freundlich, wenn kann ihre kleinen Läden ansieht, und einen Eifer haben sie, wenn’s der Arbeit gilt, die sie ganz den Ameisen gleich stellt. Hübsch sind nur wenige unter ihnen, z. B. der kleine Bub im Tramway. –

Viel schöner sind die Malayen und die Hindus, mit ihren höheren schlanken Gestalten, wundervollen Augen und feiner Nase, tief braun, fast röthlich-blau schimmernd, wenn sie transpirieren, auf dem Kopf und um die Hüften ein weisses Tuch, sonst ganz bloss. Die Bewohner der Inseln wie Java u. Sumatra sind unentwickelter und hässlicher. – 

Wir machten uns fertig und gingen mit dem Capitän ans Land, alle drei weiss wie 3 Stückchen Zucker, u. nahmen die Tramway nach der Stadt. Was war das für ein Eindruck! Es war zu viel auf einmal! Die heisse Erde ist ganz roth; u. Wunderbar heben sich davon die schlanken üppigen Palmenwälter, die Bananen-Haine, und all die unglaublich schwelgende Vegetation ab, die überall herausbricht und alles „wüthend umschlingen“ will. wie musste ich da an den 2. Akt Parsifal denken, wie viele Lauben der Kundry erschienen mit, und als ich die unheimlichen gelben Blüthen mit ihren langen Glocken sah, glaubte ich ein Blumenmädchen schmeicheln zu hören.

Und dazu die chinesisch-maläischen Dörfer, so leicht auf den Pfählen gebaut, meistens über dem Sumpf, der vom Meere durch Dämme getrennt ist; alles aus Holz, und das Dach mit dürren Palmenzweigen gedeckt. Eine kurze breite Leiter führt hinauf zum offenen kleinen Vorplatz, wo die Waren zum Verkaufen liegen, all diese kleinen Esssachen, Reis, Sago, Bananen, Ananas, Jos,  [Räucher-Stengel], Fische etc. und hinten im Zimmer sitzen die Männer auf dem Boden, meistens faulenzend, rauchend, Reis essend, Thee trinkend, sich rasieren lassend ihren halben Kopf, den Zopf flechtend, ihre Ohren mit einem kleinen Pinsel putzend; dieses letztere ist eine wichtige Action u. sie schneiden unglaubliche Grimacen dazu.
So fuhren wir weiter, Mund, Nase, Augen und Ohren öffnend nach allen Himmelsrichtungen und sich puffend und zwickend vor Freude und Staunen an dieser ganz neuen Welt. Wir gelangten in die Stadt, u. zwar nach dem europäischen Viertel, um zu den Agenten Paterson zu gehen. Wir fragen nach Briefen, doch waren leider keine da. Wir müssen warten bis Donnerstag. Der Raum wo diese Agenten ihr Comptoir haben, ist colossal, kühl u. luftig u. an vielen Tischen sitzen Engländer und Chinesen, alle in Weiss. Mr. Paterson lud uns zu Montag ein zum Luncheon; etwas langweilig. – Man möchte lieber ganz für sich sein. 

Dann gings zum Telegraph, von da zu einem Malayen, den der Capitän kannte. Er sprach gut englisch; gab uns Limonade zu trinken. Eine merkwürdige Sitte beobachtete ich da; ein älterer Mann, wahrscheinlich Priester, trat herein, gab den Hausbewohnern die Hand, doch nicht wie wir, worauf jene die ihrigen, er die seinigen küsste und dann wieder fortging. Wir lunchten bei Emerson, grossem deutschen Restaurant mit Lesezimmer u. Billards im ersten Stock; die Punkos, [zum Kühlen] wehten von der Mitte des Raumes hin- u. herschwebend herab und wir assen mit riesiger Lust; besonders herrliche Gemüse, Eis-Limonade; die Spiesen, obwohl europäisch zubereitet, haben alle einen milden chinesischen Beigeschmack, und die Portionen sind so niedlich klein u. zierlich, wie ihre Tassen u. Tütütens[1]; dabei servieren die Chinesen, in weissen Röcken, barfuss, so schnell u. ruhig, dass es eine Wohlthat ist, wenn man dagegen an unsre Teller-Mazeppas von Kellnern denkt!

An den Tischen sitzen fast nur Deutsche, (natürlich auch einige Schmuls unter ihnen); sie sind recht ruhig und ich brauche mich meiner Nation nicht so zu schämen wie ich befürchtet hatte. Unter ihnen ist ein Herr Rudolf Stern aus Frankfurt, kein Jude, merkwürdiger Weise, dessen ich mich von dort vom Künstlerball erinnerte; natürlich konnten wir dem Anbändeln nicht entgehen.

Nachittags wanderten wir durch die amüsanten Strassen und kamen an einem chinesischen Tempel vorbei, der uns sehr interessierte; ich werde ihn zu zeichnen u. seinen Grundriss aufzunehmen suchen, und erspare nur so eine Schilderung, die doch immer dürftig und unanschaulich ausfällt. Interessant ist es, den Grundriss mit dem der Buddha-Tempel zu vergleichen, welche letztere die direkte Vorstufe zu der altchristlichen Basilika bilden. –

Nachher gingen wir in ein Restaurant, lasen alte Zeitungen und fuhren bald heim zum Schiff; in der kleinen Jinrikishas, von chinesischen kräftigen Jungen so schnell wie von Pferden gezogen; wir scheuten uns anfangs zu zweit uns hineinzusetzen, doch da alle es thun, so thaten auch wir es; und der Junge fuhr uns wirklich die 5 Meilen hinaus.
In der Nähe des Schiffs trafen wir den Capitän u. first mate, mit welchem letzteren wir nochmals in die Stadt zu Fuss gingen.

Die Strassen sahen einfach entzückend aus: wimmelnd von Chinesen, die wandern, kauern, trinken, rauchen, essen, – auf den Strassen stehen, dichtgedrängt, rechts und links kleine Ständer mit bratenden, kochenden unglaublichen Cochonerien; hinten in den offenen Zimmern der Häuser, wo an der Rückwand der bunte Hausaltar steht mit dem brennenden Josstick, u. den Öllämpchen, sitzen, an den 2 anderen Wänden entlang Chinesen, kaum bekleidet und schwätzen. 

An einer anderen Seite, von vielen horchenden Chinesen umgeben, liest ein älterer Chinese mit Brille bei einer Öllampe endlose Märchen vor, und keiner regt sich; die schönen Malayen u. Hindus halten sich ruhig zurück in ihren dunkleren Strassen. Frauen sieht man nie auf der Strasse, besonders am Tag; dagegen erschienen sie abend in ihren gesonderten Wohnungen, auf ihrer Veranda vor der Hausthüre, und besondere Strassen sind für die Leichtfertigen bestimmt, die mit Geschrei und Gezerr am Arme die Vorbeigehenden, besonders die Europäer anlocken; besonders gewandt sind darin die kleinen Japanesinnen, die wieder in einem besonderen Viertel wohnen. –

Erst gegen 12 Uhr fuhren wir nach dem Schiff zurück u. hatten eine ziemlich schlechte Nacht durch die frechen Mosquitos.


[1] Wahnfriedlicher Ausdruck für Nachttöpfe.

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