Sonnabend 5ten (5. September 1874)

Cosima Wagner Tagebücher

R. arbeitet, jedoch er findet sich zerstreut und muß ein Blatt zweimal instrumentieren, ich habe verschiedene Briefe zu schreiben, nachdem ich den Kindern den Unterricht gegeben habe. 

Nach Tisch, zum Kaffee, singt R. das »spinne Margarethe« aus der »Weißen Dame«[i], sagt mir, welchen Eindruck dies in seiner Jugend auf ihn gemacht, und kommt dann auf den Gedanken, wie rührend es sei, sich Fidi vorzustellen, nach langer Abwesenheit wieder in Wahnfried heimkehrend!

Man müßte dafür sorgen, daß es ihm, während dem unausbleiblichen Umhertreiben in der Welt, gepflegt würde, vielleicht [durch] eine seiner Schwestern, wenn sie sich nicht verheiratete. R. habe diese Nacht, während er nicht schlief, an sein Testament gedacht, einzelnes festgestellt.

»Ich glaube nicht, daß mir das geschadet haben würde, in einem solchen Besitz auferzogen worden zu sein«, sagt R., ich meine, er würde ihn zur Verwirklichung seiner Ideen verkauft haben! 

Auf die »Weiße Dame« zurückkommend, sagt R.: »Das war der schönste Zug der Franzosen, welcher sich in dieser Oper ausspricht, ein gewisser wehmütiger Leichtsinn, welcher lächelnd alles Traurige weiß.« – 

Nachmittags melden sich die Freunde Heckel und Dr. Zeroni[ii] aus Mannheim, welche soeben Tristan in München gesehen haben. Große Freude an den trefflichen Freunden; Dr. Zeroni ist auch Altkatholik geworden (oder geblieben?) in der Überzeugung, daß, wenn diese Bewegung nicht um sich greift, Deutschland zu Grunde geht. Er geht zu der von Döllinger[iii] in Bonn berufenen Versammlung zum 14ten September hin, R. spricht lebhaft, sagt, sie möchten den Protestantismus vollenden, die deutsche Kirche, nicht das Katholos in’s Auge fassen, entwirft ihnen ein Bild der äußerlichen Gründe, weshalb der Protestantismus nicht weiter sich entwickelte.


[i] „Die weiße Dame“, Oper 1825 von François Adrien Boieldieu (1775 – 1834), neben Auber der Hauptvertreter der französischen Spieloper.

[ii] Dr. Heinrich Zeroni (1833 – 1895), Arzt (Cholera) und Vorstandsmitglied des Wagner-Vereins Mannheim.

[iii] Döllinger, Johann Joseph Ignaz (1799 – 1890), katholischer Theologe, 1871 exkommunizierter Priester und geistiger Vater der altkatholischen Kirche.

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