Sonntag 31ten (31. Mai 1874)

Cosima Wagner Tagebücher

Um 8 Uhr zur Kirche bis gegen 12, auch R. kommt hin, und alle Kinder, auch Fidi, tiefe Ergriffenheit, Innewerdung des Erhabenen der Religion und der Gemeinsamkeit, ich glaube, Daniella wird an diesen Tag stets mit Rührung und Erhebung denken. Nach Tisch noch einmal in die Kirche gegangen. – Der Dekan gestern und heute herrlich!

– Eine Photographie, von einer Freundin geschickt, nach dem Bild von Max, Gretchen, zeigt das Widerliche unserer heutigen witzigen Malerei;

R. sagt, das Gesicht ist so praktikabel. – R. arbeitete, sagt mir aber, er gebrauchte völlig ein zweites Orchester, um seine Gedanken ganz wie er es möchte auszudrücken. Er spricht von dem Thema, welches Brünnhilde’s Seelenstimmung darstellt, während Siegfried im ungestümen Jubel im zweiten Akt davoneilt. »Es ist bei mir nicht die Sucht, Effekte hervorzubringen, sondern immer andere Instrumente hinzutreten zu lassen, um mit den anderen abzuwechseln; keine Virtuosenspiele treiben. Dazu kommt, daß ich Pedant eine gute Partitur für den Druck machen will, führe ich fort, wie ich die Nibelungen begonnen hatte, alle Instrumente durcheinander, es ging besser, ich müßte aber einen ungeheuer gescheiten Kerl dabei haben zum Kopieren.« – 

Spaziergang abends, den Mond als Kladderadatsch-Gesicht; heimkehrend singen wir das Hauptthema von der Coriolan-Ouvertüre, »das ist das Schöne daran, das (nur das)[i] ungeheuer Neue, daß es keinen Schluß hat, daß diese Themen wie fragende Gestalten auftauchen und untergehen«. – 

Durch Herrn Voltz erfuhren wir, daß die Skizze zu Lohengrin, welche R. Frau Laussot, diese vermutlich Karl Ritter geschenkt, in die Hände eines reichen Kaufmannes wahrscheinlich durch Ankauf gelangt ist!…


[i] eingefügt.

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