Treu bis in den Tod geliebter, theurer Freund!
Als ich von meiner Reise nach Frankreich[i] wieder in die Heimath zurückgekehrt war, fand ich die Geschäfte so angehäuft, daß ich zu meinem lebhaften Bedauern mich veranlaßt sehen mußte, Ihnen meinen Dank vorläufig durch den Sekretär ausdrücken zu lassen[ii].
Nun ich aber wieder mehr zur Ruhe gekommen bin und wieder auf Menschen- und Alltagsleben entfernter, liebgewonnener Bergeshöhe weile, wo die Ideale ungestört dem inneren Auge näher treten, eile ich dem Drange meiner Seele nachzugeben und Ihnen, großer, theuerster Freund, meinen tief im Herzen empfundenen Dank endlich persönlich auszusprechen für Ihren herrlichen Brief zu meinem Doppelfeste, sowie das mir unschätzbar theure Geschenk, das here Werk der “Walküre”! Auch Ihr himmlischer Brief vom Mai hat mich mit unaussprechlicher Wonne erfüllt.
O möge in Wahnfried mein innig geliebter Freund den so lange ersehnten Frieden finden, reines Glück und ungetrübre Schaffensfreude! Mit Jubel erfüllte mich die Mittheilung, daß der Verlauf dieses Sommers Ihre Hoffnung auf ein vollständiges Gelingen Ihres großen, von mir mit den heißesten Segenswünschen begleiteten Unternehmens auf das schönste besträrkt hat. Recht dringend bitte ich Sie, Theurerster Freund, Ihren liebevollen Versprechen gemäß recht bald auf das ausführlichste mir Mittheilungen über den Fortgang der Vorbereitungen zum großen Werke machen zu wollen.
Meine Begeisterung für das erhabene Nibelungen-Werk, das Sie mir vor nun schon 10 Jahren mit überzeugend lebendiger Gewalt vor das geistige Auge führten, bat, statt zu erlahmen, wie es wohl bei Vielen der Fall sein wird, sich womöglich nocht gesteigert. Inniglich erfreuen würde es mich, außer dem Berichte über den Stand der Dinge bei dem großen Unternehmen [noch andere Mittheilungen zu erhalten], wobei mich Alles lebhaft interessiert und ich Sie [daher] ersuche über die Sänger und Sängerinnen, über die im Orchester Beschäftigten, die Proben, den Theaterbau, die Decorationen und Maschinerien, den Zeitpunkt der ersten Aufführung mir schreiben zu wollen; inniglich freuen würde es mich, wiederhole ich, Näheres über Ihre Tageseintheilung, den Stand Ihrer so theuren Gesundheit und den Fortgang des Baues an Wahnfried zu erfahren; Alles was Sie, theurer Freund, persönlich und Ihre Werke betrifft, hat ja so lebhaftes Interesse für mich, den Sie getrost unter Ihren zahllosen Anhängern und Verehrern als den begeisterten und treuesten Freund betrachten dürfen. Heil und Segen über Sie, Ihre Gattin und Kinder; Gedeihen Ihren unvergleichlichen Werken, Vollendung dem großen Unternehmen, Verständnis von Seite des Volkes, dem so oft irregeleiteten, verstockten, dessen innerster Kern aber doch gut und nicht gänzlich verdorben ist; Friede Ihrem Hause! Mit diesen aus innerster Seele stammenden Segenswünschen verbinde ich meine allerherzlichsten, tiefsinnigsten Grüße und bin ich immerdar in nie erlöschender, begeisterungsvoller Liebe, des treusten, edelsten Freundes bis in den Tod.
getreues
Eigen
Ludwig.
Schachenhütte bei Partenkirchen. Den 19. Sept. 1874
[i] Der König hatte am 20. August 1874 seine zweite Reise nach Paris angetreten, von der er am 28. August wieder zurückgekehrt war (vgl. Böhm, S. 377/384)
[ii] “Seine Majestät der König haben ich zu beauftragen geruht”, so hatte Füfflipp am 5. September (1874) an Wagner geschrieben, “Euer Hochwohlgeboren für die Gratulation zum 25. August und für die derselben beigegebene Partitur einstweilen recht herzlich unter de Beigefügten zu denken, daß Seine Majestät Selbst zu schreiben noch verhindert sind, dies aber in Bälde nachholen werden.”